In einer Stellungnahme der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ) vom 16.07.2021 zur Nichtzulassung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) zur Bundestagswahl fordert die VDJ die Revision der Entscheidung und die Zulassung der DKP zur Bundestagswahl
Die Nichtzulassung der DKP zur Bundestagswahl wird offiziell als bloß formeller juristischer Akt dargestellt. Das hat Bundeswahlleiter Dr. Georg Thiel in der Sitzung des Bundeswahlausschusses am 9. Juli 2021 deutlich gemacht. Dass die Vertreter:innen von politischen Parteien im Bundeswahlausschuss über die Konkurrenz entscheiden, lässt diese Darstellung bereits zweifelhaft erscheinen. Die Nichtzulassung der DKP ist darüber hinaus weder parteienrechtlich noch verfassungsrechtlich rechtmäßig, sondern ein neuer Tiefpunkt für die politische und demokratische Kultur in der Bundesrepublik.
Als Ermächtigungsgrundlage für den Entzug der formellen Stellung als politische Partei zieht der Bundeswahlleiter die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 des Parteiengesetzes (PartG) heran. Seit einer Neuregelung aus dem Jahr 2015 heißt es dort, dass eine Vereinigung ihre Stellung als Partei verliert, wenn sie „sechs Jahre lang entgegen der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaftslegung gemäß § 23 keinen Rechenschaftsbericht eingereicht hat“. Der Bundeswahlleiter argumentiert, dass § 2 PartG über den Umweg des § 23 PartG auch auf die Fristregelung des § 19a PartG verweise, nach der Rechenschaftsberichte bis zum 30.09 des dem Berichtsjahr nachfolgenden Jahres einzureichen sind.
Nach Mitteilung der Bundestagsverwaltung habe die DKP für die Jahre 2014-2020 ihre Rechenschaftsberichte jeweils erst nach dem 30.09. des Folgejahres abgegeben, zuletzt für das Jahr 2017 im Dezember 2020. Die Abgabe eines verspäteten Rechenschaftsberichts wird vom Bundeswahlleiter so interpretiert, dass damit auch für die Jahre 2014-2017 „kein Rechenschaftsbericht“ abgegeben worden sei, weil die Berichte die Frist des § 19a PartG nicht gewahrt haben. Über diesen Umweg kommt der Bundeswahlleiter auf sechs Jahre ohne Bericht. Diese Interpretation stieß bei zwei anwesenden Juristen zurecht auf Unverständnis und konnte von der Bundestagsverwaltung nur notdürftig begründet werden: Es handle sich um eine „stramme Regelung“, die aber „keinen Auslegungsspielraum“ zulasse. Weil ein verspäteter Rechenschaftsbericht „kein Rechenschaftsbericht“ sei, habe die DKP ihre Stellung als Partei gemäß § 2 Abs. 2 Satz PartG verloren.
Diese Auslegung ist falsch und interessengeleitet. Der klare Wortlaut von § 2 Abs. 2 Satz 2 PartG spricht davon, dass die Stellung als Partei verliert, wer „sechs Jahre lang keinen Rechenschaftsbericht gemäß 23 PartG abgegeben“ hat. Die DKP hat für vier der benannten Jahre einen Rechenschaftsbericht abgegeben. Anders als es Bundeswahlleiter und Bundestagsverwaltung darstellen, besteht ein bedeutender Auslegungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob der Verweis auf § 23 PartG zusätzlich als Verweis auf die Fristregelung des § 19a PartG zu interpretieren ist und ob ein verfristeter Bericht „kein“ Bericht ist. § 19a Abs. 3 PartG benennt die Rechtsfolgen für einen Fristverstoß nämlich sehr klar: Es entfällt der Anspruch auf staatliche Mittel für das Berichtsjahr. Von Folgen für die Stellung als Partei ist nicht die Rede. Der Bundeswahlleiter wendet die Fristregelung für die Verwirkung von Ansprüchen auf staatliche Mittel auf eine ganz andere Rechtsfrage an. Damit geht er über die Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 PartG in rechtswidriger Weise hinaus. Dieser setzt lediglich einen Rechenschaftsbericht voraus. Da die DKP nur zwei dieser Berichte bisher nicht eingereicht hat, kommt die Rechtsfolge des § 2 Abs. 2 Satz 2 PartG für sie nicht in Betracht.
Eine Regelung in der Interpretation des Bundeswahlleiters, nach der bereits verspätete Rechenschaftsberichte zum Verlust der Parteistellung führen, könnte die Gesetzgeberin auch gar nicht erlassen, da sie verfassungswidrig wäre. Bereits das Gebot, das Rechtsnormen in Einklang mit dem Grundgesetz auszulegen sind (verfassungskonforme Auslegung), hätte diese Interpretation der Norm verhindern müssen. Parteien als Basis des demokratischen Prozesses unterstehen einem besonderen verfassungsmäßigen Schutz, wie er in Art. 21 GG zum Ausdruck kommt. Ihre Gründung ist frei. Über die Herkunft und die Verwendung ihrer Mittel müssen sie zwar nach Art. 21 Abs. 1 Satz 2 GG Rechenschaft ablegen. Über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung und das Verbot der Partei entscheidet nach Art. 21 Abs. 3, Abs. 4 GG ausschließlich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). In diesem Privileg kommt ein gesteigerter Schutzgedanke zum Ausdruck. Das Verbot einer Partei soll dem politischen Prozess entzogen werden. Es unterliegt einer ausschließlichen Zuständigkeit des BVerfG und setzt ein umfangreiches Verfahren voraus. Diese klare Kompetenzzuordnung des Grundgesetzes kann nicht durch § 2 Abs. 2 Satz 2 PartG auf den Bundeswahlausschuss übertragen werden.
Die Aberkennung der Parteistellung ist unter keinen denkbaren Gesichtspunkten verfassungsmäßig gerechtfertigt. Die Aberkennung der formellen Stellung als Partei und die Nichtzulassung zur Bundestagswahl ist ein schwerwiegender Eingriff. Dieser Eingriff ist nicht durch die verfassungsmäßig verankerte Rechenschaftspflicht der Parteien gerechtfertigt. Das ergibt bereits eine überschlagsartige Abwägung der betroffenen Interessen. Grund für die Rechenschaftspflicht ist ein selbst demokratischer Transparenzgedanke: Parteien sollen sowohl hinsichtlich ihrer Mitgliederstruktur wie hinsichtlich ihrer Finanzierung offen und transparent sein. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Partei nicht von anderen als den formal gewählten Vertreter:innen gesteuert oder beeinflusst wird. Das BVerfG sah das Transparenzgebot insbesondere vor dem Hintergrund des Einflusses durch Großspenden und Lobbygruppen gerechtfertigt, „vermittels derer ihrem Umfang nach politischer Einfluss ausgeübt werden kann“ (BVerfG, Beschluss vom 17. Juni 2004-2 BvR 383/03).
Verspätete Rechenschaftsberichte bergen hingegen keine gesteigerte Gefahr. Für den politischen Prozess spielt es zudem eine untergeordnete Rolle, wenn der Rechenschaftsbericht verspätet eingereicht wird. Sanktionsmöglichkeiten bei Verstreichen der Frist sind bereits in § 19a PartG festgeschrieben: Parteien werden von staatlichen Mitteln ausgeschlossen. Weitere mildere Mittel zur Durchsetzung dieser Frist wären denkbar (Strafzahlungen, Mahngebühren). Offensichtlich unverhältnismäßig und kompetenzwidrig ist es, das überhaupt schärfste Schwert zu ziehen und für einen Fristverstoß eine Rechtsfolge anzudrohen, die ansonsten nur das BVerfG anordnen dürfte. Dieses „kalte Verbot“ ist also auch deshalb verfassungswidrig, weil es das klare Entscheidungsprivileg des BVerfG aushebelt.
Dass hier scheinbar formaljuristische Gründe vorgeschoben werden, ergibt sich für uns auch aus weiteren Tatsachen. So hat die DKP nach Angaben des Bundeswahlleiters selbst bei ihm nachgefragt, ob die Rechenschaftsberichte anerkannt werden. Der Bundeswahlleiter hat diese Anfrage, ohne sie zu beantworten, an die Bundestagsverwaltung weitergeleitet und beide Stellen haben sie nicht konkret, sondern nur durch Hinweis auf die gesetzliche Regelung ohne Beifügung der eigenen Rechtsauffassung beantwortet. Die Frage, ob die Rechenschaftsberichte anerkannt werden, ließ sich daraus gerade nicht erkennen. Das legt die Vermutung nahe, dass der Bundeswahlleiter seine Absicht der Aberkennung des Parteistatus bis zum Stichtag geheim halten wollte.
Ein starkes Indiz, dass politische und jedenfalls keine zwingenden juristischen Gründe den Ausschluss der DKP von der Bundestagswahl motivierten. Einem demokratischen Rechtstaat, wie ihn die Bundesrepublik sein will, ist das nicht würdig. Die VDJ verurteilt dieses Vorgehen und fordert den Bundeswahlleiter zur Revision seiner Entscheidung auf.