Die Auswirkungen von Krise und Deindustrialisierung auf den Arbeitsmarkt werden immer deutlicher. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist im dritten Jahr in Folge gestiegen. Nachdem die Arbeitslosenquote seit 2017 im Jahresdurchschnitt konstant unter 6 Prozent lag, hat sie im vergangenen Jahr erstmals wieder die Marke von 6 Prozent überschritten. Im Januar und Februar dieses Jahres ist sie auf 6,4 Prozent gestiegen.
Besonders in der Industrie bauen zahlreiche Unternehmen Stellen ab. Allein bei ZF, Continental, Thyssenkrupp Steel und Volkswagen stehen in den kommenden Jahren rund 70.000 Jobs auf der Kippe. Schaeffler, Porsche, Bosch und Ford planen ebenfalls, tausende Stellen zu streichen. „Da gehen im Moment mehr als 10.000 Jobs pro Monat verloren“, beschrieb Enzo Weber, Wissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, die Entwicklung kürzlich in einem sehenswerten Bericht der ARD-Finanzredaktion.
Diese Tendenz bestätigt ausgerechnet die neueste Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Demnach planen 38 Prozent der Unternehmen – über alle Wirtschaftszweige hinweg –, Personal abzubauen. Nur 17 Prozent wollen perspektivisch mehr Mitarbeiter einstellen.
Noch gravierender ist der Arbeitsplatzabbau in der Industrie. Hier steht bei 44 Prozent der befragten Unternehmen Stellenabbau auf der Agenda. Gerade einmal 14 Prozent – vor allem Rüstungsschmieden – planen Neueinstellungen.
„Damit dürfte sich der bereits seit geraumer Zeit sichtbare Beschäftigungsabbau im deutschen Verarbeitenden Gewerbe auch im neuen Jahr fortsetzen“, heißt es weiter in der IW-Studie. Schon zwischen 2019 und November 2024 war die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie um 350.000 von knapp 7,8 Millionen auf gut 7,4 Millionen Erwerbstätige zurückgegangen, so das arbeitgebernahe Institut.
Eine Tendenz, die auch durch eine Untersuchung des Münchner ifo-Instituts indirekt bestätigt wird. Demnach klagten im Januar 2025 nur noch rund 18 Prozent aller Industrieunternehmen über einen Mangel an Fachkräften. Im dritten Quartal 2022 lag die Zahl noch bei 44,5 Prozent. Im Dienstleistungssektor ist die Nachfrage nach Fachkräften dagegen noch relativ hoch. Hier suchten im dritten Quartal 2022 54,2 Prozent der Unternehmen qualifizierte Arbeitskräfte. Zuletzt waren es mit 35,1 Prozent immer noch fast doppelt so viele wie in der Industrie. Diese vielbeschworenen Jobs im Dienstleistungssektor haben einen entscheidenden Nachteil: Sie sind oft deutlich schlechter bezahlt als die – in der Regel tarifgebundenen und mitbestimmten – Industriearbeitsplätze.
Die aktuelle Deindustrialisierungswelle beeinflusst nicht nur das allgemeine Lohnniveau. Sie verändert auch die Struktur der Klasse mit weitreichenden Folgen: Denn mit dem Wegbrechen der gewerkschaftlich hoch organisierten und arbeitskampferprobten Belegschaften ist zu befürchten, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit weiter verschiebt. Dies betrifft nicht nur den industriellen Sektor. Das „Stottern des Tarifmotors IG Metall“ hat Auswirkungen auf alle Branchen und damit auch für alle DGB-Gewerkschaften.
Trotz dieser Gefahren sind die gewerkschaftlichen Gegenstrategien überwiegend stark „sozialpartnerschaftlich“ geprägt und von der Hoffnung auf Intervention durch die Politik getragen. Dass dies nicht so bleiben muss, zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Auch während der Stahl- und Werftenkrise in den frühen 1980er Jahren hoffte man zu Beginn auf „sozialpartnerschaftliche“ Krisenlösungen. Als sich diese Strategie aufgrund der Verweigerungshaltung der Gegenseite als Sackgasse erwies, zogen die Metallerinnen und Metaller Konsequenzen: Im Mai 1984 begann der lange Kampf um die 35-Stunden-Woche. Arbeitszeitverkürzung statt Arbeitsplatzvernichtung wäre auch heute – zumal unter ähnlichen Rahmenbedingungen – eine mögliche gewerkschaftliche Krisenstrategie.