Mit einem Aktionstag am 20. Juli reagierten IG Metall und Betriebsräte mehrerer Standorte auf den geplanten Stellenabbau der Siemens AG. Bereits im März hatte die Firmenleitung im Wirtschaftsausschuss aufgrund der schlechten Auftragslage im Öl- und Gasgeschäft weltweit 2 500 Arbeitsplätze in Frage gestellt, davon allein 2 000 in Deutschland. Zum Auftakt der nun beginnenden Verhandlungen zwischen Management und Betriebsräten waren in allen betroffenen Werken über 4 600 Beschäftigte auf die Straße gegangen.
Ob in der Gasförderung, in Pipeline-Systemen oder im industriellen Fertigungs- und Anlagenbereich, elektrische Antriebe und Spezialmaschinen des Siemens-Sektors PD bieten mit einer breiten Produktpalette viele Einsatzmöglichkeiten. Gefertigt werden die Motoren noch überwiegend in den bayerischen Werken Nürnberg, Ruhstorf und Bad Neustadt sowie in Wien. An allen Standorten sollen nach dem Willen der Firmenleitung Arbeitsplätze abgebaut werden. Nürnberg ist mit 733, Ruhstorf mit 700, Bad Neustadt mit 370 und Wien mit 250 zur Disposition gestellten Arbeitsplätzen so stark betroffen, dass die Betriebsräte den kompletten Verlust der Werke befürchten. Hinzu kommen noch etwa 150 Arbeitsplätze in Erlangen, wo Vertrieb, Steuerungstechnik und Entwicklung beheimatet sind.
Begründet wird der Schritt von der Firmenleitung mit der schlechten Auftragslage im Öl- und Gasgeschäft, aber auch mit fehlenden Aufträgen aus der deutschen bzw. europäischen Industrie, die wegen vorhandener Überkapazitäten immer weniger investiert. Mit Blick auf die aktuellen Geschäftszahlen muss man allerdings von Jammern auf hohem Niveau sprechen. Immerhin konnte der Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser mit Abschluss des letzten Geschäftsjahres den Rekordgewinn von 7,4 Mrd. Euro bilanzieren, zu dem auch der Sektor PD mit weit über 530 Millionen Euro einen erklecklichen Beitrag leistete. Und für das laufende Geschäftsjahr erwartet die Siemens AG erneut „anhaltendes Wachstum bei Auftragseingang und Profitabilität“.
Beschäftigte und Betriebsräte attestieren dem Management daher zu Recht einen „Gewinnwahn“. Aktuell fordert der Vorstand für das industrielle Geschäft der Siemens AG eine Ergebnismarge zwischen 10 und 11 Prozent. Dabei drücken enorme Kreditschulden den Konzern, die Joe Kaeser durch den Kauf des US-amerikanischen Turbinenherstellers Dresser Rand erst im vergangenen Jahr aufgehäuft hat. Das für die Akquisition eingesetzte Kapital von 7,8 Mrd. Euro ist eine erhebliche Belastung, zudem sei der Konzern nun „noch stärker den Schwankungen im weltweiten Öl- und Gasmarkt ausgesetzt“, heißt es im Geschäftsbericht. Eingetrübt werden die Aussichten auch durch über Jahre verschleppte Investitionen in Forschung und Entwicklung, was besonders im Bereich alternativer Energieerzeugung und bei innovativen Antriebstechnologien große Probleme aufwirft.
Im Hintergrund des nun geplanten Stellenabbaus wirken also ein enormer Kostendruck und die fehlende Orientierung auf Zukunftstechnologien. Beleg dafür ist auch die Tatsache, dass die Fertigungskapazitäten nicht komplett abgebaut, sondern mindestens zum Teil nach Osteuropa verlagert werden sollen, wo in den vergangenen Jahren in Tschechien und Rumänien Motorenwerke aufgebaut wurden. Bei rumänischen Durchschnittslöhnen von etwa 300 Euro im Monat werden so zwar Einsparungen auf Kosten der Beschäftigten erzielt, aber das dürfte auch nur ein paar Quartalsberichte weit reichen.
Längst erkannt haben das die Beschäftigten und ihre Interessenvertreter. Der Betriebsratsvorsitzende des Nürnberger Werks, Gerald Eberwein, rief während der Kundgebung in Richtung Management-Etage: „Die Zeit des Stillstands ist vorbei. Wir fordern Zukunft!“ Die IG Metall kämpft nicht nur für den Erhalt aller Arbeitsplätze, sondern fordert konsequent den Ausbau der Werke und massive Investitionen in Forschung und Entwicklung. Wenn es gelingt, diese Perspektive in den nun laufenden Verhandlungen mit konkreten Forderungen zu untermauern, könnte das auch die Verhandlungsmacht der Beschäftigten enorm stärken. Das Management verteidigt derzeit nichts als die eigene Profitgier, die Beschäftigten aber die industrielle Zukunft alternativer Antriebstechnologien.
Entscheidend für die Verhandlungen wird auch die Solidarität unter den Standorten sein. Die Wiener Kolleginnen und Kollegen haben eine Erklärung veröffentlicht, in der sie ausdrücklich die Stärke des Fertigungsverbunds mit den rumänischen Werken hervorheben und den Erhalt aller Arbeitsplätze fordern. Das Leitmotiv der IGM-Kampagne hingegen lautet „Stärkt den Standort D!“, was durchaus auch als Konkurrenz- und Kampfansage an andere Standorte verstanden werden könnte. Angesichts der eklatanten Lohnunterschiede in Europa und der relativen Schwäche osteuropäischer Gewerkschaftsverbände sollte gerade die IG Metall eine grenzüberschreitende Interessenvertretung befördern. Die Konkurrenz mit Niedriglohnländern jedenfalls verlieren im Zweifel die deutschen Beschäftigten. Da Einsichten und solidarische Haltungen vor allem in Auseinandersetzungen wachsen, bleibt dennoch richtig, was der bayerische IGM-Bezirksleiter Jürgen Wechsler in Nürnberg sagte: „Wir bleiben hier, dafür kämpfen wir!“