Das Grundgesetz ist eindeutig. An vielen Stellen, trotz all der Umbauten, die die Herrschenden ihm in den letzten Jahrzehnten zugemutet haben, vermittelt es noch immer Botschaften, die verpflichtend sein sollen. Botschaften, wie sie in der Präambel niedergelegt sind. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Vom „Staatsziel Frieden“ ist heute nicht mehr die Rede. Wiederbewaffnung, NATO-Beitritt, Kriegseinsätze in aller Welt haben es zur leeren Worthülse werden lassen. Von denen, die es anders wollen, den Frieden gerne übersehen und ihn noch nicht mal mehr für wert halten, vom Bundespräsidenten in eine seiner salbungsvollen Reden eingepackt zu werden. Der verstorbene Staatsrechtler Erhard Denninger schrieb vor fast zwei Jahrzehnten: „Dass von demselben Boden, von dem nur Frieden ausgehen darf, aber Jahr für Jahr Rüstungsgüter und Kriegswaffen im Wert von mehreren Milliarden Euro ‚ausgehen‘, also etwa Sturmgewehre, Leopard-Panzer oder nuklear ausrüstbare U-Boote, dies widerspruchsfrei zusammen zu denken bedarf freilich einer übermenschlichen gedanklichen Anstrengung.“
Was nach den Irak-Kriegen, aus deren Anlass Denninger diese Worte niederschrieb, noch „übermenschlich“ schien, schreit einen heute aus „Tagesschau“, Kirchentag und Talkshows an. Auch Artikel 26 des Grundgesetzes, der den Verfassungsauftrag gibt, „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“ zu bestrafen, ist samt der zu ihm gehörenden Strafvorschrift des Paragraf 80a des Strafgesetzbuches (Friedensverrat) zur politisch wohlfeilen Manövriermasse geworden.
Surreal wird es, wenn die Bundesregierung ihren Wissenschaftlichen Dienst bemühen muss, um Wege zu der Umgehung des vom Grundgesetz vorgegebenen Staatsziels „Frieden“ zu erkunden. In dessen neuester Ausarbeitung vom 3. Februar zur Vereinbarkeit von Waffenlieferung und dem Friedensgebot des Grundgesetzes ist festgehalten, dass fortan alles erlaubt ist, was dazu taugt, „letztendlich ein Ende des Krieges zu bewirken“. Zum Beleg dieser verfassungsrechtlich steilen These nimmt der Wissenschaftliche Dienst auf die G7-Resolution vom Dezember 2022 Bezug. Anderes war wohl auch nicht zu finden. Auch der „Fall Baerbock“ zeigt, dass auf juristische Pirouetten im Sinne Denningers „übermenschlicher gedanklicher Anstrengungen“ zurückgegriffen werden muss, um das Reden über Krieg und Waffen zu einer ganz normalen Sache zu erklären.
Steile Thesen
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