50 Jahre lang war eines klar in Frankreich: Gegen die Front National, heute Rassemblement National (RN), halten alle anderen Parteien notfalls zusammen. „Vote républicain“ nennt sich das, die Stimme für die Republik. Nach der ersten Runde der von Präsident Emmanuel Macron kurzfristig angesetzten Neuwahl des Parlaments am 30. Juni steht RN kurz vor der Regierungsübernahme. Mit knapp 30 Prozent ist die Partei Marine Le Pens die große Siegerin der ersten Runde. 37 der 577 Sitze im Parlament hat sie sich bereits gesichert. Nach der zweiten Runde am 7. Juli dürften Umfragen zufolge 240 bis 270 Sitze dazukommen. Es könnte für die absolute Mehrheit reichen.
Le Pens Kurs der „Dédiabolisation“, des Kreidefressens also, hat funktioniert. Dabei haben ihr die Parteien, die das Land in den letzten Jahrzehnten regiert haben, willfährig geholfen. Die Gewerkschaft CGT liegt richtig, wenn sie Macron für Rechtsruck und Misere in Frankreich verantwortlich macht. Mit seinen Angriffen auf Rente, Sozialversicherung, Bildungssystem, Demonstrationsrecht und Steuerreformen zugunsten seiner steinreichen Freunde hat Macron Frankreich sturmreif geschossen. In Sachen Asylrecht nutzte er das RN-Programm als Blaupause.
Schon Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy, François Hollande hatten das Land Schritt für Schritt nach rechts geführt, kaputtgespart, ausgeplündert. Linke Kräfte setzten dem wenig entgegen. So erscheint RN vielen Franzosen heute als „Alternative“ zur herrschenden Politik.
In der Frage des Ukraine-Kriegs etwa sehen die Unterschiede so aus: Macron will Soldaten und Mittelstreckenraketen schicken, die in der Wahlwoche flugs geschmiedete Neue Volksfront Blauhelm-Soldaten und „notwendige Waffen“, der RN keine Soldaten und keine Raketen, die Russland treffen könnten. Ansonsten sprach sich der RN-Vorsitzende Jordan Bardella ausdrücklich dafür aus, die „Unterstützung“ der Ukraine fortzuführen.
Es war die „Vote républicain“, die Macron zweimal in den Élysée-Palast brachte. Mit der Neuwahl erfüllte der Präsident einen Wunsch des RN. Macrons Freunde können damit gut leben.