Sandra Kaudelkas Film „Wagenknecht“ jetzt im Kino

Staunend vor dem Haifischbecken

Fast unkenntlich unter Helm und Fahrradmontur strampelt eine Frau keuchend den Mont Ventoux in der Provence hinauf. Sie schießt stumm ein paar Fotos vom atemberaubenden Blick über die Berge, doch aus dem Off haben wir ihre Stimme schon erkannt. Wir hören sie reden über Fraktionsspitzen, Gesundheit und Dauerstress und wir wissen, dass sie damit nicht die Mühen des Aufstiegs meint. Dann eingeblendet der Filmtitel: „Wagenknecht“, kein Vorname, keine Einführung. Ein Wort wie eine Firmenmarke. Namenlos sind auch im weiteren Verlauf alle aus Wagenknechts Team, ihr Chauffeur ebenso wie ihr Manager und ihre Büroleiterin. Ein Schnitt, ein Zeitsprung: zwei Inserts – es bleiben die einzigen im ganzen Film – bringen uns zwei Jahre zurück in den Bundestagswahlkampf 2017 und auf Ruhe und Bergidyll folgen Szenen aus dem Bundestag, ihrem Abgeordnetenbüro, ihrem Dienstwagen. Reden, Interviews, Fotoshoots, Wahlkampfauftritte, allenfalls kurze Momente in Hotelzimmern. Eben jener nach Minuten getaktete Dauerstress, der nun auch das Tempo von Sandra Kaudelkas Film treibt und bestimmt.

2017 bis 2019. Gut zwei Jahre hat die Dokumentarfilmerin mit ihrem Team den Medienstar Wagenknecht begleiten und ganz aus der Nähe ihren politischen Alltag beobachten und ihre Sicht der Welt erkunden dürfen. Eine solche Vereinbarung ist nicht eben selbstverständlich zwischen Porträtisten und Porträtierten, schon gar nicht, wenn die Letzteren im politischen Rampenlicht stehen oder standen. In Ausnahmefällen wie „The Fog of War“ (über Robert McNamara, 2003) und „The Unknown Known“ (über Donald Rumsfeld, 2013) hat der Regisseur Errol Morris daraus durchaus umstrittene Höhepunkte des politischen Dokumentarfilms gemacht. Ob Kaudelkas „Wagenknecht“ umstritten wird, muss sich nach der Berlinale-Uraufführung erst klären, ein dokumentarischer Höhepunkt ist er aus vielerlei Gründen leider nicht.

Das beginnt mit der dramaturgischen Entscheidung der Regie, die in formaler Strenge konsequent auf jede Form von Kommentierung oder Hintergrundinformation verzichtet und so den Zuschauer auf sein wie auch immer geartetes Vorwissen zurückwirft, da er weder Namen und Funktion auftretender Personen noch etwas über Ort und Zeit der Aufnahmen erfährt. Irritierend schon die erste Szene, die quasi spiegelbildlich auch den Filmschluss abgibt: Der zweimal fallende Satz, mit dem Wagenknecht ihren Rückzug aus dem Fraktionsvorstand bekannt gibt, ist als Schlussfolgerung aus dem ausführlich gezeigten Wahlkampfstress klar und einleuchtend – als vorweggenommenes Resultat auf dem Gipfel des Mont Ventoux nur ein verwirrender „Spoiler“.

„Der Regen kommt schwer von links“ zitiert das Filmplakat einen Satz seiner vom Sturm gepeitschten Heldin, aber aus welcher Richtung die Fragen der namenlosen Interviewer kommen, darüber gibt höchstens der Windschutz auf den zahlreich hingehaltenen Mikrofonen Aufschluss. Herauszuhören ist eine Mischung aus vorsichtiger Provokation und Anerkennung, Nachfragen sind selten (oder im Schneideraum entfallen?) und oft schweben über dem Gesagten freundliche Walzerklänge. Kaudelka selbst fügt dem kaum Eigenes hinzu, lässt ihr Publikum über ihre eigene politische Position arg im Unklaren, verlässt sich auf die aussagekräftigen Bilder ihrer drei Kameraleute und Jörg Hauschilds effektvolle Montage. Dass die auch die kuriose Namenssuche für die „Aufstehen“-Bewegung nicht auslassen und so Wagenknechts Herzensprojekt fast ins Lächerliche ziehen, passt kaum zu Kaudelkas Konzept, das ihre Heldin vor allem als Opfer innerparteilicher Intrigen darstellt.

Dazu passt, dass Wagenknechts engste Mitarbeiter fast ausführlicher zu Wort kommen als sie selber. Das ist als Umsetzung der Regiekonzeption nur konsequent. Kaudelka sieht, wie sie im Presseheft erklärt, die Politik als „Haifischbecken“ und fragt sich: „Warum begibt man sich freiwillig in die Politik?“ Eine Antwort darauf hat sie Wagenknecht nicht wirklich entlocken können, aber es ging ihr auch „nicht darum, einen Lebensweg biografisch aufzuarbeiten. Der Film sollte stattdessen Politik ganz nah spürbar machen.“ Spürbar, nicht erklärbar. Wenn Frau Wagenknecht über die Gründe nachsinnt, warum sich die guten Argumente ihrer Partei am Wahltag nicht in Stimmenprozenten wiederfinden – „Weil das, was über uns gesagt wird, so viel wirksamer ist als das, was wir selber sagen“ –,0 kommt ein Bewusstsein von der Macht der herrschenden Medien ins Spiel, von dem in Kaudelkas Regiekonzept wenig zu spüren ist. So lässt sich am Wahlabend der „heftige Einbruch“ im Osten gegen geringe Zugewinne im Westen verrechnen, das letztliche Scheitern der „Aufstehen“-Bewegung einer Clique von Intriganten in die Schuhe schieben. Es ist, als säße die Regisseurin staunend vor dem Haifischbecken und beklage die Blessuren ihrer Heldin, der sie in der Schlussszene wenigstens Trost und Hoffnung spenden möchte: Im Präsidium einer großen Versammlung darf Wagenknecht punktgenau den Auftritt von Luisa Neubauer ankündigen, der „deutschen Greta Thunberg“. So geht Politik – oder vielleicht doch nicht?

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"Staunend vor dem Haifischbecken", UZ vom 13. März 2020



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