Mehr als zwei Millionen Menschen haben am Donnerstag vergangener Woche mit über 200 Streiks und Demonstrationen in ganz Frankreich gezeigt, was sie von Emmanuel Macrons „Rentenreform“ halten: nichts. Premierministerin Élisabeth Borne hatte am 10. Januar Details zu dieser neuerlichen Enteignungskampagne gegen die Beschäftigten bekannt gegeben. Noch am selben Abend kündigten sämtliche Gewerkschaftsverbände des Landes an, ihren Widerstand dagegen geschlossen auf die Straße zu tragen – ein Novum in der Geschichte der Fünften Republik. Der Aktionstag am 19. Januar markierte den Auftakt dazu.
Allein in Paris demonstrierten mehr als 400.000 Jugendliche, Gewerkschafter und Rentner gegen die Pläne der Regierung, das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre zu erhöhen und die Zahl der notwendigen Beitragsjahre schneller zu steigern. Startpunkt der Demonstration in der Hauptstadt war der Place de la République. Später versuchte die Polizei zu spalten. Beamte nahmen 30 Teilnehmer vorläufig fest und verletzten mehrere. Die Tageszeitung „L’Humanité“ berichtete, dass manche Teilnehmer aus Angst vor Polizeigewalt ihre Kinder zu Hause gelassen hatten.
CGT-Generalsekretär Philippe Martinez und CFDT-Chef Laurent Berger zeigten sich mit der Mobilisierung sehr zufrieden. Die Streiks legten weite Teile des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft in Frankreich lahm. Besonders hoch war der Anteil der Streikenden im Bildungssektor, im Transportwesen und in der Energieversorgung. Selbst Teile der Polizei streikten mit. Aus vielen Städten hieß es, so große Streiks und Demonstrationen habe man seit 30 Jahren nicht mehr erlebt. Ende 2019 hatte der Widerstand der Gewerkschaften Macron dazu gezwungen, seinen ersten Angriff auf die Rente zurückzunehmen. Am damals erfolgreichsten Aktionstag, dem 5. Dezember 2019, waren laut CGT eine halbe Million Menschen weniger auf der Straße als jetzt.
Präsident Macron weilte während des Streiks zusammen mit elf Ministern auf Staatsbesuch in Barcelona. Eine „grobe Respektlosigkeit“, befand die CGT. Vor dem Streik hatte Macron seine geplante Reform als „demokratisch präsentiert und validiert“ bezeichnet. Sie sei „vor allem gerecht und verantwortungsbewusst“. Ähnlich hatte der damalige Premierminister Alain Juppé 1995 geklungen – kurz bevor seine Rentenreform am gewerkschaftlichen Widerstand scheiterte.
Die jetzige Bewegung könnte die von 1995 noch in den Schatten stellen. Die im Wahlbündnis NUPES organisierten Oppositionsparteien Französische Kommunistische Partei (PCF), La France Insoumise, Génération·s, EELV und PS unterstützen die Streiks. Der Aktionstag am 19. Januar mit seiner historischen Mobilisierung sei ein „immenser Erfolg für diese erste Etappe des Gegenschlags“ gewesen, erklärte die PCF. Seit Montag sind die Kommunisten in ganz Frankreich unterwegs, um über die geplante „Rentenreform“ aufzuklären. Die PCF fordert von Macron, das Projekt sofort abzusagen oder die Bevölkerung darüber abstimmen zu lassen. Jüngsten Umfragen zufolge lehnen 61 Prozent der Franzosen Macrons „Rentenreform“ ab. Der Vorschlag eines Referendums stammt von PCF-Generalsekretär Fabien Roussel. Mittlerweile findet die Idee auch bei den anderen NUPES-Parteien Zuspruch. Die PCF schlägt eine alternative Rentenreform vor, zu der die Absenkung des derzeitigen Renteneintrittsalters von 62 auf 60 Jahre gehört. Für die Mehrkosten sollen Unternehmen aufkommen. Über 24.000 Unterschriften hat die Partei dafür bislang gesammelt.
Entscheidend für den Erfolg der Streikbewegung wird sein, inwieweit es den Gewerkschaften gelingt, die zunehmenden Spaltungsversuche abzuwehren und über ihre eigenen Reihen hinaus zu mobilisieren. Der nächste Termin dafür steht schon fest: der 31. Januar.