Es fehlte nicht an starken Worten. Es sei „absurd“, dass der Gesetzgeber in Washington als Regulator europäischer Fragen auftreten wolle, empörte sich Außen-Staatsminister Nils Annen. Senatoren von beiden Parteien des US-Senats wollen Nord Stream 2 durch einen Gesetzentwurf, den „Protecting Europe‘s Energy Security Clarification Act“ (PEESCA), stoppen, der eine zum 19. Dezember 2019 rückwirkende Ausweitung der ohnehin gültigen Sanktionsmaßnahmen vorsieht. Davon könnten Unternehmen wie Wintershall und Eon, aber auch Dienstleister und Behörden betroffen sein. Von 120 an Nord Stream 2 beteiligten Unternehmen ist die Rede. Die Sanktionen sollen sich gegen alle richten, die irgendwie mit dem Pipelinebau zu tun haben. Das Sanktionsvorhaben richte sich gegen „alle Unternehmen und Personen, die zur Ausrüstung der Schiffe beitragen oder an Verlegearbeiten beteiligt sind, sowie Versicherungen, IT-Dienstleister und Zertifizierer“, so der Geschäftsführer des „Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft“, Michael Harms.
Der „Ausschuss für Wirtschaft und Energie“ des Deutschen Bundestages war sich in der Verurteilung dieser Sanktionen weitgehend einig. Auch die Bundeskanzlerin hatte noch einmal ihr Ja zu Nord Stream 2 bekräftigt. Ex-Kanzler Gerhard Schröder bezifferte den finanziellen Schaden aus abzuschreibenden Investitionen bei einer nicht zu Ende gebauten Pipeline auf 12 Milliarden Euro. Zusätzlich erhöhten sich die Kosten durch anderweitige Erdgasbeschaffung um jährlich 5 Milliarden Euro. Schröder bezweifelte, dass sich an der Haltung der US-Regierung durch eine Wahl des Demokraten Joseph Biden bei den US-Präsidentenwahlen im November etwas ändern würde. So einhellig die Ablehnung der „exterritorialen Sanktionen“ auch ist, so uneinig bis schwach zeigen sich die Vertreter von Politik und Wirtschaft, wenn es um konsequente Reaktionen geht. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es den „Atlantikern“ auch diesmal nur um ein „Dampfablassen“ an der PR-Front geht, dem keine substanziellen Handlungen folgen.
Dass die US-Politik sich gegen elementare Interessen der Bundesrepublik und der deutsch-europäischen Wirtschaft richtet, ist nicht neu. Durch die 2014 verhängten Russland-Sanktionen geht laut einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und der Universität Hongkong ein Handelsvolumen von 667 Millionen Dollar pro Monat verloren. Davon trägt die EU 92 Prozent, die Exportmaschine Deutschland ist mit 38 Prozent dabei. Trotz der europaweiten Handelsverluste von bislang rund 40 Milliarden Euro kann sich weder die EU noch Deutschland zu einer Haltungsänderung durchringen. Ähnliches gilt für das 2015 von den USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Iran abgeschlossene und 2018 von den USA einseitig aufgekündigte Atomabkommen (JCPOA) mit dem Iran. Bei der US-Politik des „maximalen Drucks“ auf das Land gehen der EU-Milliarden an Handels- und Investitionsvolumina verloren.
Die gegenwärtige Krise und die näherrückenden US-Wahlen haben die Aggressionsbereitschaft des US-Imperiums signifikant erhöht. Und zwar nicht nur gegen die sattsam bekannte „Achse des Bösen“, Russland, China, Iran, Venezuela, Kuba, Syrien und Irak, sondern auch gegen die engsten NATO-Verbündeten in Europa werden Sanktionen und Strafzölle verhängt, selbst gegen die Treueste der Treuen, die Washington in Nibelungengefolgschaft ergebene deutsche Bundesregierung, wird nun schweres Geschütz aufgefahren. Die „Globalisierung“, besser der „Liberalismus“ des Washington Consensus, gepriesen als freier, regelbasierter Verkehr von Kapital, Waren und Dienstleistungen, ist tot. Dieses Reklameschild war schon immer eine Lüge. Aber jetzt agiert das US-Imperium ganz offen im „Make America Great Again“-Modus. Ein rüder Protektionismus ist zum Standard des „Westens“ geworden. Das Imperium versucht seine sowohl ökologisch als auch ökonomisch katastrophale Fracking-Industrie auf Biegen und Brechen zu retten und Deutsch-Europa die Kosten dafür aufzubürden. Das stellt den US-hörigen alten Kontinent vor schwerwiegende, weitreichende Richtungsentscheidungen. Es sieht bislang nicht danach aus, als sei das amtierende politische Personal dieser Herausforderung gewachsen.