Delegationsreise in der Volksrepublik, Teil 1: Einblicke in die Entwicklung Chinas

Starke Nation, reiche Geschichte

Andrea Hornung

In diesem Jahr hat die Internationale Abteilung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zum zweiten Mal eine Reise für Kader der theoretischen Forschung kommunistischer Parteien ausgerichtet. Elf Tage reisen wir, Vertreterinnen und Vertreter von 22 kommunistischen und Arbeiterparteien aus 19 Ländern, durch China, vom 3. bis zum 15. Juni. Wir hatten die Chance, mit Peking, Shenyang und Hangzhou drei Städte im Osten Chinas zu besuchen, mit Parteisekretären und Managern von Firmen in die Diskussion zu kommen und die Geschichte der KPCh, ihre aktuellen Aufgaben und ihre Strategie besser zu verstehen.

Gegenseitiges Lernen

Empfangen werden wir in den Räumlichkeiten der internationalen Abteilung der KPCh in Peking vom Vorsitzenden des Forschungsbüros, Jin Xin, an einem reich gedeckten Tisch. Das Ziel der Delegation, so betont Jin, ist der Austausch und das gegenseitige Lernen unter 22 von insgesamt über 200 kommunistischen Parteien weltweit. Die Delegation finde in einer Zeit der massiven Hetze gegen China statt – Jin Xin schätzt sehr, dass wir selbst nach China kommen, um uns ein Bild von den Entwicklungen zu machen. Ein Teilnehmer aus Bangladesch, der China seit 1979 immer wieder besucht hat, hat die Reform und Öffnung seit 1978 selbst miterlebt. Jin Xin bemerkt, dass „die Reform und Öffnung nicht nur den Markt geöffnet hat, sondern auch den Kopf“, und dass dies „das wichtigste Ereignis in der Geschichte des chinesischen Sozialismus war“. Die Bedeutung der Reform und Öffnung, des Denkens ihres Theoretikers Deng Xiaoping und die Fortsetzung und Vertiefung durch Xi Jinping begleiten uns auf fast jeder Veranstaltung der Reise als Dreh- und Angelpunkt.

Demokratie des ganzen Volkes

Direkt zu Beginn der Reise wird uns ein tieferer Einblick in die Demokratie in der Volksrepublik China gegeben. Song Xiongwei, Direktor für Forschung über das neue Parteiensystem an der zentralen Parteischule, begründet in einem Vortrag, warum die unter anderem von den USA aufgestellte Behauptung, China sei keine Demokratie, falsch ist. Im Gegenteil: In China können Menschen Vorschläge für Gesetze machen und sich in den Gesetzgebungsprozess einbringen. Zum Beispiel wurde der Gesetzentwurf zur Bekämpfung häuslicher Gewalt auf Vorschlag der Bevölkerung um Personengruppen über Frauen und Kinder hinaus erweitert, weitere Maßnahmen zur Bekämpfung häuslicher Gewalt wie die Einbeziehung der Nachbarschaften wurden ergänzt. In China, sagt Song, finden die Stimme und die Anliegen des einfachen Volkes auf allen Ebenen der Politik Gehör, die Regierung habe eine sehr hohe Antwortrate auf die Anliegen der Menschen und erfülle deshalb ihre Rolle besser als westliche Regierungen. China versuche, wie jedes andere Land auf der Welt, eine Demokratie zu finden, die zum Land passe. Die Modelle wie in Dänemark und Großbritannien würden zwar gut funktionieren und seien zwischenzeitlich für die KPCh Orientierungspunkte gewesen – doch die Modelle könnten nicht einfach von anderen Ländern kopiert werden. Vorbild sei heute Singapur, das eine Demokratie mit singapurischen Charakteristika eingeführt habe, in der die Menschen sehr gut leben würden. Für China sei das richtige Modell keine Mehrparteiendemokratie, sondern eine nicht-kompetitive Demokratie, in der großes Augenmerk auf die Suche nach Konsens gelegt wird. Auf die Rückfrage eines Mitglieds der Delegation, in welchem Verhältnis die Demokratie zur Diktatur des Proletariats stehe, erklärt Song, dass sie mittlerweile nicht mehr von Diktatur sprechen, dass sie die Diktatur des Proletariats überwunden hätten – die die Unterdrückung eines Teils der Bevölkerung voraussetzt – und stattdessen von der Demokratie des ganzen Volkes sprechen.

380801 Vor dem roten Boot - Starke Nation, reiche Geschichte - China-Besuch, Demokratie, KPCh, theoretische Forschung - Aktion
Andrea Hornung mit der Genossin Inês Alves Rodrigues aus Portugal vor dem „Roten Boot“, auf dem 1921 die KP Chinas gegründet wurde. (Foto: Privat)

Entwicklungen im ­Superwahljahr

Ebenfalls in Peking nehmen wir an der Eröffnungskonferenz der World Political Party Think Tanks Cooperation Association und am anschließenden akademischen Seminar teil. Die Gründung dieser Association bettet sich ein in die drei von Xi Jinping vorgebrachten Initiativen, auf die auf der Konferenz immer wieder Bezug genommen wird: Die globale Zivilisationsinitiative, die globale Entwicklungsinitiative und die globale Sicherheitsinitiative. Damit will China die Grundsätze des gegenseitigen Lernens und des Dialogs wahren – und dafür spielen Stiftungen von Parteien eine wichtige Rolle. Insgesamt nehmen rund 200 Personen teil.

Im Panel zu neuen Entwicklungen in der Parteipolitik stellen die Genossinnen und Genossen der KPCh ihre Einschätzungen vor. Aus ihrer Sicht sind viele Entwicklungen besorgniserregend und gefährden die Stabilität weltweit. Mit Blick auf die USA betont ein Genosse der KPCh, dass die beiden Parteien dort zu ähnlich seien, dass eine dritte Partei fehle. Nicht in der Abkehr von der Globalisierung, sondern in der Globalisierung selbst liege die Lösung für die Probleme der Welt. Im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt gerade anstehenden EU-Wahlen beschreibt ein anderer KPCh-Genosse, dass wir eine Fragmentierung der politischen Parteien erleben, dass die politischen Kräfte der Mitte schrumpfen und linke und rechte Kräfte stärker werden, dass Extremismus und Populismus zunehmen und dies besorgniserregende Auswirkungen auf die Stabilität haben könne. Aus diesen Entwicklungen in Europa könne man aber auch lernen, wie die Stabilität erhalten und die Bedürfnisse der Menschen erfüllt werden können. Im Sinne des gegenseitigen Lernens gab es auch Beiträge aus der Delegation über Klassenauseinandersetzungen in Chile, der Schweiz, Mexiko und Kongo. Ein Mitglied unserer Delegation wies in der anschließenden Diskussion darauf hin, dass in den vorigen Analysen die Klasseninteressen nicht berücksichtigt worden seien, dass diese aber entscheidend seien, um die Entwicklungen in den USA und in Europa zu verstehen.

Zurück zu früherer Stärke

Am Rande der Konferenz habe ich die Möglichkeit, mit mehreren Genossen der KPCh direkt ins Gespräch zu kommen. Den Parteisekretär der Beijing Foreign Studies University frage ich danach, was die KPCh unter entwickeltem Sozialismus versteht. Er erklärt mir, dass die KPCh sich zwei Jahrhundertziele gesetzt habe: Erstens die Armut zu beseitigen, das sei vor zwei Jahren erreicht worden. Zweitens wolle die KPCh, dass China bis 2049, zum 100. Geburtstag der Volksrepublik China, zu einer starken Nation werde. Er erläutert: „China war lange stark, zum Beispiel während der Dynastien, hat diese Stellung aber verloren. Das Ziel ist die Rückkehr zur altgewohnten Tradition. Dieses Recht steht China auch zu.“ Dazu wolle China Wohlstand erreichen, ein florierendes, wirtschaftlich starkes Land mit einer großen politischen Rolle in der Welt werden und für eine gemeinsame Welt arbeiten – schließlich sei die Menschheit eine Schicksalsgemeinschaft. Das Ziel sei weiterhin der Kommunismus und das bedeute, „die Stärke jedes Individuums zur Geltung zu bringen. Welche Eigentumsformen dabei im Vordergrund stehen, ist zweitrangig.“ Um die Ziele der KPCh zu erreichen, soll die Reform und Öffnung vertieft werden und das Privateigentum gestärkt werden, denn es nutze den Menschen. Später bestätigt ein Mitarbeiter der Internationalen Abteilung, dass das Privateigentum gestärkt werden solle und aktuell, in der ersten Phase des Sozialismus wie über 2049 hinaus, eine wichtige Rolle spiele.

Den Propagandasekretär einer Parteigruppe frage ich, was die KPCh unter Marxismus versteht. Er antwortet, dass Deng Xiaoping darunter verstanden habe, dass sich die Ideologie verändern muss, wenn sich die Situation verändert. Er selbst habe zwei Bücher von Marx und Engels gelesen (das „Manifest der Kommunistischen Partei“ und „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“). Die darin vertretenen Sozialismus-Vorstellungen wichen von der Situation in China stark ab. Er berichtet zudem, dass Xi Jinping ein Augenmerk auf die Stärkung der Partei gelegt hat: Seine Parteigruppe treffe sich wöchentlich und diskutiere die Gedanken von Xi Jinping.

Die Geschichte inspiriert

Wir haben auf der Reise die Gelegenheit, mehr über die reiche Geschichte der KPCh zu lernen – die gesamte Delegation ist davon beeindruckt: Von der Gründung mit nur 13 Delegierten auf dem „Roten Boot“ im Jahr 1921 über den Kampf gegen Imperialisten, Feudalherren und Guomindang-Machthaber bis hin zum Aufbau des Sozialismus. Viel zu kurze Einblicke können wir im Museum der Geschichte der KPCh in Hangzhou erleben, der Geschichte, die Xi Jinping heute als chinesischen Traum, als Weg zur Wiederbelebung der chinesischen Nation bezeichnet. Im Museum wird zusammengefasst: „In den vergangenen 100 Jahren hat der Geist des ‚Roten Bootes‘ die Kommunistische Partei Chinas stets inspiriert und ermutigt, auf der Höhe der Geschichte zu stehen, an der Spitze der Zeit zu gehen, der mutige Steuermann zu sein und den Kurs zu führen, indem sie ständig einen Sieg nach dem anderen in Revolution, Aufbau und Reform errang.“

Teil 2 erscheint in der kommenden ­Woche

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"Starke Nation, reiche Geschichte", UZ vom 20. September 2024



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