Eine Biographie über das bewegte Leben der Clara Zetkin

Starke Frau mit einem Ziel

Der Feminismus ist innerhalb weniger Jahre vom Coolness-Level von Wollsocken und Dinkelnudeln aufgestiegen zu etwas, womit man seinen Instagram-Account schmücken, sein Unternehmen als tollen Arbeitsplatz präsentieren, sein Produkt verkaufen kann. Das ist erst einmal großartig: Die Bewegung ist so einflussreich geworden, dass nicht einmal mehr die PR-Abteilungen großer Firmen an ihr vorbeikommen. Clara Zetkin würde trotzdem nichts davon feiern – nicht, solange sich nicht die Lebensbedingungen der Arbeiterinnen, der am stärksten ausgebeuteten Frauen, weltweit verbessert haben. Auch ich will mehr als glitzernden Karriere-Feminismus. Ich will nicht nur, dass ‚Power to the Girls‘ auf H&M-T-Shirts steht, ich will auch faire Arbeitsbedingungen für die Arbeiterin, die es in Bangladesch genäht hat.“

So beginnt das Vorwort zu Lou Zuckers Biografie über „Clara Zetkin – Eine rote Feministin“. Man möchte ergänzen: Klar, aber die Arbeitsbedingungen wollen wir auch für den Arbeiter, der in Bangladesch T-Shirts näht, und überhaupt: Wollen wir die T-Shirts, die H&M von mies bezahlten und behandelten Verkäuferinnen verkaufen lässt? Wollen wir, dass die Konzerne uns bessere Arbeitsbedingungen zugestehen oder wollen wir den Konzern loswerden und einen besseren selber machen? Wollen wir die Krümel oder die Kontrolle über die Bäckerei und den Staat, in dem sie steht?

Diese (oder ähnliche, um Kleidung und Bangladesch ging es nicht) Fragen stellte Clara Zetkin, als sie 1872 mit der Arbeiterbewegung in Kontakt kam und in der Folge 1878 Mitglied der SPD wurde, obwohl das Frauen in Sachsen offiziell verboten war. In lockerer Romanform lässt Zucker uns teilhaben an den ersten Versammlungen, die die (man glaubt es kaum) schüchterne Clara besucht und wie sie bei einer der Vortragsveranstaltungen mit Wilhelm Liebknecht Ossip Zetkin kennenlernt, wie Clara Zetkin geradezu süchtig nach Bildung ist, um diese Welt zu begreifen und vor allem zu verstehen, was nötig ist, um sie zu verändern. Sie studiert im Arbeiterbildungsverein in Abendkursen politische Ökonomie und will alles über die Pariser Kommune erfahren. Sie liest Marx und beginnt, ihn dafür zu kritisieren, dass er in seine Analysen nur die Fabrikarbeit einbezogen habe – ohne die Arbeit der Frauen im Haus sei es den Arbeitern schließlich unmöglich, jeden Tag aufs neue ihre Arbeitskraft zu verkaufen.

Bald macht Bismarcks Sozialistengesetz es schwierig, politisch zu agieren, Versammlungen müssen geheim, in kleinem Rahmen als Geburtstagsfeiern getarnt, abgehalten werden. Bei einer solchen „Feier“ wird August Bebel verhaftet, der aus dem Schweizer Exil angereist war. Und mit ihm Ossip, der als Ausländer daraufhin ausgewiesen wird. Schließlich zieht Clara 1882, vom Sozialistengesetz, aber auch von der Sehnsucht getrieben, zu ihm nach Paris.

Dort beginnt Clara, inzwischen Mutter von zwei Kindern, politisch zu schreiben. Das Geld ist knapp, tagsüber verdingt sie sich als Wäscherin, nachts schreiben sie und Ossip oder fertigen Übersetzungen an. Clara ist nicht von ihrem Schreiben überzeugt, überarbeitet jeden Artikel mehrmals. Lou Zucker gibt in ihrem Buch einen sehr persönliche Einblick in das Leben Clara Zetkins, lässt die Leserinnen und Leser teilhaben an ihren Ängsten vor der eigenen Unzulänglichkeit beim Schreiben und vor allem beim öffentlichen Reden und zeichnet dabei ein Bild einer starken Frau, die nie ihr Ziel, die Befreiung der Menschheit, aus den Augen verloren hat. Und der klar war, dass dieses Ziel nicht ohne Frauen erreicht werden kann. Für sie stand fest, „die Revolution konnte nicht auf die Hälfte des Proletariats verzichten, die Frauen mussten agitiert werden!“.

Und das tat Clara, denn bisher fehlten die Frauen zwar nicht auf den Kundgebungen, aber auf den Versammlungen, und wenn sie da waren, ergriffen sie nicht das Wort, sondern lauschten den Männern.
Als Ossip stirbt und die Sozialistengesetze aufgehoben werden, kehrt Clara mit ihren Kindern nach Deutschland zurück. DerVerleger Johann Dietz macht sie zur Chefredakteurin, am 11. Januar 1892 erscheint die erste Ausgabe von „Die Gleichheit – Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“.

Viele Genossen teilten ihr Anliegen nicht. Sie sahen in der Frauenfrage einen Spaltpilz für die Arbeiterbewegung, erachteten die Organisierung von Arbeiterinnen als nebensächlich oder waren gegen Lohnarbeit von Frauen. Schlecht bezahlte Frauen würden schließlich in den Fabriken die Löhne drücken, so das gängigste Argument. So kann man in Lou Zuckers Biografie nicht nur Clara Zetkins bewegtem Leben folgen, sondern auch dem Kampf gegen die eigenen Genossen erst in der Frauenfrage (denn sie sehen in der Theorie die Genossinnen schon gleichberechtigt, „in der Praxis aber hängt der Philisterzopf den männlichen Genossen noch ebenso im Nacken wie dem ersten besten Spießbürger“ – manchmal leider immer noch aktuell), dann in der Frage des Revisionismus und des Krieges.

Ein wenig ermüdend wirkt dadurch die Schreibweise Zuckers. Clara hat es immer mit ihren Genoss:innen und Freund:innen zu tun, genauso mit der Arbeiter:innenbewegung. Schwierig, wenn der Inhalt eines Buches beschreibt, wie Clara Zetkin darum kämpfte, dass Frauen überhaupt erst mal die Möglichkeit haben, sich für ihre Rechte zu engagieren – in einer Zeit, in der politische Betätigung für Frauen in Preußen verboten war und Frauen noch mehr als heute die doppelte Ausbeutung im Kapitalismus erfahren haben (nach zwölf Stunden in der Fabrik kam die nächste Schicht zu Hause, welcher Frau bleibt da noch Zeit für Politik?). Erst 1895 wurde mit Clara Zetkin die erste Frau in ein leitendes Gremium der SPD gewählt. Die gendergerechte Sprache, derer sich Zucker bedient, lenkt davon ab, dass es keinerlei Geschlechtergerechtigkeit gab.

Eine wunderbare Genossin und Freundin findet Clara in Rosa Luxemburg, umso unglaubwürdiger erscheint das von Zucker geschilderte Entsetzen, das Clara überfällt, als sie von der Liebesbeziehung Rosa Luxemburgs zu ihrem Sohn Kolja erfährt. Sollte sie, die Ossip Zetkin niemals heiratete, dafür später den deutlich jüngeren Maler Friedrich Zundel, tatsächlich im Innern eine Spießerin gewesen sein? Ich glaube nicht. War Clara, die Mutter, besorgt, dass ihr Sohn sich in eine ältere Revolutionärin verliebte? Sicherlich. War sie entsetzt? Bestimmt nicht.
Glaubwürdig sind dafür andere Szenen, die Zucker beschreibt: Wie Rosa Luxemburg für den Abend nach dem Sozialistenkongress in Stuttgart verschmitzt einen weiteren Gast zur illustren Runde in Claras Garten in Sillenbuch ankündigt und Lenin vor der Tür steht, wie sie mit langer Vorarbeit erreicht, das Frauenwahlrecht zur Forderung der Sozialisten zu machen, wie sie – zusammen mit Genossinnen wie Käthe Duncker – den Internationalen Frauentag ausheckt und auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen durchsetzt. Wie sie gegen ihre Krankheiten kämpft und fast wahnsinnig wird bei dem Gedanken, dass sie im beschaulichen Württemberg das Bett hütet, während andernorts in Deutschland die Revolution tobt. Ihre Trauer um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Wie sie sich, schwer krank, aus der Sowjetunion auf den Weg macht, um als Alterspräsidentin 1932 den Reichstag zu eröffnen. „Ich werde kommen“, hatte sie auf die Anfrage geschrieben, „tot oder lebendig.“

Der Buchtitel nennt Clara Zetkin eine „rote Feministin“. Wenn damit gemeint ist, dass sie für mehr einstand als die Gleichberechtigung der Geschlechter, dann stimmt das. Dann kann man sie aber auch direkt Kommunistin nennen. Dass es eine wirkliche Befreiung der Frau erst im Sozialismus gibt, dürfte klar sein, wenn es sie dort nicht gibt, ist es eben kein Sozialismus.

Lou Zucker
Clara Zetkin – Eine rote Feministin
Das Neue Berlin
150 Seiten, 18 Euro

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"Starke Frau mit einem Ziel", UZ vom 5. März 2021



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