… wenn gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt werden

Stahl kann Zukunft haben

Mehr als 15000 Stahlarbeiter aus zehn europäischen Ländern demonstrierten am 9. November in Brüssel gegen den Import von Billigstahl und für faire Wettbewerbsbedingungen. Der Industriegewerkschaftsbund IndustriAll Europe hatte zu der Protestkundgebung aufgerufen.

Frage: Die Kollegen in der Stahlindustrie fürchten den Verlust ihrer Arbeitsplätze durch die erneute Krise in der Stahlbranche. Welche Ursachen wurden von der IGM ausgemacht und welche sind es nach deiner Auffassung?

Uli Schnabel: Die IGM sieht die Ursachen in Überproduktion, chinesischen Billigimporten und der europäischen Klimaschutzpolitik. Fakt ist jedoch, dass die deutsche Stahlindustrie sich seit langer Zeit in einer Überproduktionskrise befindet. Der verlorene Kampf um den Standort Dortmund beweist das. Die China-Importe verschärfen die Situation natürlich. Aber die südeuropäischen Länder werden ja auch gezwungen, deutschen Stahl zu importieren, das gehört zu den kapitalistischen Spielregeln.

Frage: Die IGM hat bei einigen Stahlaktionstagen für den Erhalt der Arbeitsplätze demonstriert. Das will sie erreichen, indem die Regierung gegen chinesischen Billigstahl und die kostentreibende Klimaschutzpolitik der EU vorgehen soll. Ist das die richtige Stoßrichtung?

Uli Schnabel: Von den Klimaschutzauflagen weiß ich zu wenig, aber was ich weiß: Wegen des Konkurrenzkampfes haben die deutschen Metallunternehmer nichts gegen chinesische Stahl-Billigimporte. Und auch in den Betrieben der Metallverarbeitung arbeiten Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeitsplätze nicht verlieren wollen.

Frage: Die IGM scheint keine kon­struktiven Vorschläge zur Abmilderung der Krisenfolgen zu machen. Stahl wird immer gebraucht. Insbesondere zur Deckung des gesamtgesellschaftlichen Bedarfs. Aber der wirft ja keine Profite ab?

Uli Schnabel: Ja, Stahl kann Zukunft haben, wenn gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt werden wie z. B. sozialer Wohnungsbau, Bau von Schulen und Kitas, aber auch die Rückführung großer Güterfrachten von der Autobahn auf die Schiene und die Modernisierung des ÖPNV. Voraussetzungen sind aber, dass die Mitbestimmungsrechte erweitert werden und die Belegschaften, Betriebsräte und die IGM Einfluss auf die Produktionsplanungen nehmen können. Es geht also um folgende Alternative: Vergesellschaftung der Stahlindustrie und Sicherung der Arbeitsplätze oder aber das Abfüttern der Aktionäre mit Höchstrenditen.

Frage: Auf dem Höhepunkt der Stahlkrise der 80er Jahre forderte der IGM-Gewerkschaftstag 1984 die 35-Stunden-Woche und die Vergesellschaftung der Stahlindustrie. Sind heute nur noch Sozialpartnerschaft und Co-Management angesagt? Ist die Forderung nach genereller Arbeitszeitverkürzung wie z. B. der 30-Stunden-Woche in der IGM tabu?

Uli Schnabel: Nach den Ergebnissen einer Mitgliederbefragung will die IGM die Arbeitszeitflexibilisierung im Interesse der Belegschaften steuern und nicht nur den Interessen der Stahlvorstände überlassen. Die 30-Stunden-Woche mit vollem Lohn- und Personalausgleich ist z. Z. tabu. Obwohl sie nicht nur für die Sicherung der Arbeitsplätze nötig wäre, sondern auch im Interesse der Gesundheit der Stahlbelegschaften wegen der ständig steigenden Arbeitsintensität. Vorbeugung von Krankheiten und Humanisierung der Arbeitswelt in der Stahlindustrie sind damit verbunden.

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"Stahl kann Zukunft haben", UZ vom 25. November 2016



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