Die deutsche Stahlindustrie schlägt Alarm und dabei Purzelbäume in ihrer Argumentation. Obwohl die Kapazitätsauslastung in der deutschen Stahlindustrie im Jahr 2016 sich auf rund 89 Prozent erhöht habe, was ein im internationalen Vergleich außerordentlich hoher Wert sei, gerate die Branche unter „Anpassungsdruck“ und müsse die Zahl ihrer Beschäftigten weiter reduzieren.
Obwohl sich in den letzten 30 Jahren die Produktivität der Beschäftigten in der Rohstahlerzeugung verdreifacht habe und im letzten Jahr der Ausstoß bei 495 Tonnen/Beschäftigter lag, ebenfalls ein internationaler Spitzenwert, müssten deutliche „Einsparungen“ vorgenommen werden. Und obwohl die chinesischen Importe, die ja auch herhalten müssen, nur fünf Prozent ihrer Jahresproduktion ausmachen, seien sie im wesentlichen Schuld an der Krise der europäischen und US-amerikanischen Stahlindustrie.
Alle drei Argumentationen sind nicht haltbar, sie zeigen zwei Entwicklungen deutlich: Die deutsche Stahlindustrie ist hochproduktiv und die angebliche Überproduktion ist typisch für zyklische Krisen im Kapitalismus. Der eigentliche Hintergrund des Alarms ist ein anderer. ThyssenKrupp will seine Stahlsparte mit Tata Steel (Hauptsitz in Indien) oder mit der Salzgitter AG fusionieren, dafür müssen die Bilanzen „schön“ aus sehen, soll heißen, die Kosten müssen runter. Man will die berühmt-berüchtigten Synergieeffekte erzielen, und dies geht am besten, wenn man Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet. Ein zweiter Hintergrund: Die EU-Kommission will eine Verschärfung der CO2-Auflagen, dem tritt die Industrie mithilfe ihrer Lobbyisten in Berlin und Brüssel mit ihren Warnungen vor dem Untergang der gesamten Branche entgegen.
Aber gibt es überhaupt eine Überproduktionskrise? In den „Stahlpolitischen Positionen“ der DKP-Bezirksorganisation Ruhr-Westfalen wird eine schlüssige Argumentation vorgestellt. Die Frage sei „Gibt es tatsächlich zu viel Stahl?“ und die Antwort lautet „Der gedeckte Marktbedarf ist keinesfalls gleichbedeutend mit der Deckung der Bedürfnisse der Gesamtbevölkerung“. Die DKP fordert in ihrem Sofortprogramm den Bau von einer Million Sozialwohnungen, den Neubau von 2 000 Schulen, den Bau von 1 000 Jugendzentren und 1 000 Kindertagesstätten. Sie fordert ein Investitionsprogramm zur Sanierung von Krankenhäusern, des Öffentlichen Nahverkehrs, der Infrastrukturen bei Bahn, Straßen und Wasserwegen und den forcierten Umbau der Energiegewinnung. Alle diese notwendigen und dringend erforderlichen Maßnahmen bedeuten auch, Stahl bzw. Stahlbeton werden reichlich gebraucht. Ein Beispiel: Allein für den Bau oder die gründliche Sanierung einer Autobahnbrücke über den Rhein werden rund 50 000 Tonnen Stahl bzw. Stahlbeton benötigt, um eine neue Gesamtschule zu bauen, werden 8 000 Tonnen verarbeitet.
In der BRD wurden 2016 rund 42 Mio. Tonnen Rohstahl produziert, wenn auch nur ein wesentlicher Teil der Forderungen der DKP in den nächsten Jahren umgesetzt würde, könnte von Überkapazitäten überhaupt keine Rede mehr sein. Damit wird aber auch deutlich, dass es Sache der politisch Verantwortlichen wäre, von der „schwarzen Null“ und der alles hemmenden Schuldenbremse wegzukommen. Da dies nicht zu erwarten ist, ist es Sache der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften, den Druck so zu erhöhen, dass die Pläne der Bosse nicht aufgehen.
Richtungsweisend sei daran erinnert, dass 1983 die IG Metall eine Entschließung formulierte und von der „Notwendigkeit einer Umgestaltung der bestehenden Wirtschaftsordnung“ sprach und der Überführung von Schlüsselindustrien und marktbeherrschenden Unternehmen in Gemeineigentum.
Auch wusste die IG Metall damals, dass Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ein wirksames Mittel sei, um dem falschen Schulterschluss mit der Kapitalseite zu begegnen. In den „Stahlpolitischen Positionen“ der DKP heißt es am Ende „es wird also viel davon abhängen, ob sich unsere Gewerkschaft in dieser Situation von Illusionen über Sozialpartnerschaft und Co-Management verabschiedet und stattdessen konsequent unsere Klasseninteressen vertritt“.