Ständige Proteste?

Uli Brockmeyer zur Lage in Venezuela

Nach der Wahl der Abgeordneten der Verfassunggebenden Versammlung scheinen sich in Venezuela einige Dinge in eine gute Richtung zu entwickeln. Am augenscheinlichsten dürfte wohl sein, dass die Krawalle vermummter Randalierer auf den Straßen und Plätzen ein zumindest vorläufiges Ende gefunden haben. Das passt allerdings den meinungsbildenden Medien des Westens überhaupt nicht in ihr Konzept, und so kommt es, dass das deutsche Staatsfernsehen ARD in seiner Nachrichtensendung am Montagmorgen von „ständigen Protesten“ in Venezuela berichtet und dazu dann eben bewegte Bilder aus der Konserve sendet. „Das Volk“ sei gegen die Regierung und gegen die Constituyente, lassen uns die Nachrichtenverbieger der „Tagesschau“ wissen. Wie kommt das? Nachdem gerade erst vor drei Wochen mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme für die Constituyente abgegeben haben …

Bei dieser Wahl lief es allerdings nicht so, wie man sich in Washington, Berlin oder Paris „freie Wahlen“ vorstellt. So standen eben nicht nur Parteien auf den Wahlzetteln, sondern auch Kandidaten zum Beispiel der Arbeiter, der Jugend, der Rentner, die dann von Arbeitern, Jugendlichen und Rentnern gewählt werden konnten. So kommt es, dass unter den 545 gewählten Volksvertretern 79 direkt gewählte Arbeiter in der Versammlung sitzen, 24 direkt gewählte Jugendliche, 28 Rentner. Das ist der Hauptgrund, aus dem diesem Gremium von den großen Mächten des Westens und von der Katholischen Kirche die Legitimität abgesprochen und die Anerkennung verweigert wird – eine Anerkennung, die eine gewählte Volksversammlung eigentlich nicht braucht, denn ihre Legitimität ergibt sich aus dem Wählervotum.

Die rechtsgerichtete Opposition, inzwischen heillos zerstritten, verweigert der Constituyente ebenfalls die Anerkennung. Als die Versammlung jedoch beschloss, im Oktober Regional- und Gouverneurswahlen abzuhalten, haben die oppositionellen Gruppierungen den Beschluss unverzüglich anerkannt und mit der Nominierung ihrer Kandidaten begonnen. An der Wahl zur Constituyente haben sie sich vor allem aus dem Grund nicht beteiligt, weil sie sich nicht zählen lassen wollten. Dann hätte sich nämlich herausgestellt, wie schwach ihr Rückhalt in der Bevölkerung ist. Bei den künftigen Wahlen müssen sie nun allerdings zeigen, ob sie mehr drauf haben als pausenlos „Maduro muss weg“ zu brüllen und Brandflaschen zu werfen. Denn gewählt wird, wer auch konkrete Vorschläge macht.

Die meisten Menschen in Venezuela wissen, dass in den Jahren seit der Präsidentschaft von Hugo Chávez viel erreicht wurde, auch auf sozialem Gebiet. Sie wissen aber auch, dass vieles noch fehlt, dass mehr Demokratie, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Teilnahme der Bevölkerung notwendig sind. Diese Chance bietet die Constituyente, und es liegt an den Gewählten selbst – und an denen, die sie gewählt haben –, diese Chance zu nutzen. Es soll eine neue Verfassung ausgearbeitet werden, und die Nagelprobe wird dann darin bestehen, ob das Volk ihr in einem Referendum die Zustimmung erteilt.

Für diese Arbeit braucht Venezuela Frieden. Diesen Frieden aber stören die Einmischungsversuche der westlichen Staaten, vor allem aber die Kriegsdrohungen aus dem Weißen Haus in Washington. Dort glaubt man immer noch daran, dass man Lateinamerika als den eigenen Hinterhof betrachten und behandeln kann. Es hängt also nicht nur von den Menschen in Venezuela ab, ob es in ihrem Land endlich spürbar vorwärts gehen kann.

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"Ständige Proteste?", UZ vom 25. August 2017



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