Ausstellung und Veranstaltungen im Rahmen von 25 Jahren Galerie Arbeiterfotografie

Stadtmassaker – ein Krimi ohne Leichen?

Von Anneliese Fikentscher

Stadtmassaker

Ausstellung im Rahmen von 25 Jahre Galerie Arbeiterfotografie mit Fotografien von Katrin Susanne Gems und Gerda Sökeland. Noch bis 3. Dezember 2015

Geöffnet: Mi/Do 19–21 Uhr, Sa 11–14 Uhr und nach Vereinbarung

Galerie Arbeiterfotografie, Merheimer Str. 107, 50733 Köln, 0221–727 999

Ein gemütlicher Abend mit Kalle für Alle: Fr., 27. November 2015, 19 Uhr

Der bekannteste Widerständler gegen Willkür von Wohnraumspekulation, Kalle Gerigk, berichtet und diskutiert anhand aktueller Fälle über Gentrifizierung und Prekarisierung. Die erfolgreiche Verhinderung seiner Wohnungsräumung aus „Eigenbedarf“ hat aus Karl-Heinz Gerigk „Kalle für Alle“ gemacht, einen offensiven Streiter im Bündnis „Recht auf Stadt Köln“. Werner Eggert stellt den Konzeptentwurf zum „Diskurs in der Stadtgesellschaft der Kommunalen Wohnungs-Offensive Köln“ vor. Mit „Sockenvideo“ der Hausbesetzer vom Kartäuser Wall. Eintritt frei, Spenden willkommen

Finissage/Film- und Tonbild-Schau: Do, 3. Dezember 2015, 19 Uhr

Bruckhausen – vom Industriebiotop zum Grüngürtel. Tonbildschau. 15 Min., 2015. Geschichte(n) des Stadtteils Bruckhausen über einem Zeitraum von rund 60 Jahren.

Bruckhausen. Ein Stadtteil kämpft. Film von Jörg Boström, Werner Busch, Eckhard Möller, 1976, 46 Min. Künstlergruppe PSR im Auftrag der Gemeinde des Pastors Michael Höhn.

(Kostenbeitrag 10 Euro/ermäßigt 3 Euro oder Spende)

„Um es mit einem Wort zu sagen: Kriegsgebiet! Das Einzige was fehlt, sind die Leichen auf der Straße.“ So kommentiert der gelernte Bankkaufmann und Vorsitzende des Sanierungsbeirates Markus Hagedorn im Radiofeature von Ulrich Land den Zustand in Duisburg-Bruckhausen. Der Anwohner Mehmet Yilderim bringt es auf denselben wunden Punkt: „Sieht ja wie nach dem zweiten Krieg aus.“

Katrin Susanne Gems und Gerda Sökeland zeigen in ihren Fotografien das Schicksal von Mensch und Architektur, die sich – in seltener Symbiose – dem Kriegszustand widersetzen. Die Historikerin Katrin S. Gems begleitet das Leben, die Proteste und den Abriss von Bruckhausen und dem nahen Marxloh seit fünf Jahren. Die Initiatorin der Geschichtswerkstatt Duisburg-Nord erzählt in ihren Bildern die Geschichten vom Ehepaar Schindler, „das über 53 Jahre in Bruckhausen gearbeitet hat und seinen Lebensabend im komplett renovierten Haus am Kringelkamp erleben wollte. Aber das Bleiben wurde so schwer wie möglich gemacht.“ Auch Manfred und seine Peggy haben was auszuhalten. Mehrfach werden nachts die Fensterscheiben eingeworfen.

Unterwegs mit Kamera und Rollator macht die gehbehinderte Gerda Sökeland 2015 ihre letzten Aufnahmen von Bruckhausen. Viele prächtige Gründerzeitfassaden hat sie über Jahrzehnte in ihren Diapositiven festgehalten. Mit ihren Fotos komponiert sie Tonbildschauen, die von Ruhrgebietskultur handeln und für die die Amateurfotografin und Medizinerin mehrfach ausgezeichnet wurde.

Eröffnungsredner Roland Günter, Ehrenmitglied der Arbeiterfotografie, langjähriger Vorsitzender des Deutschen Werkbundes NW, Professor für Kunst- und Kulturtheorie, legt in seiner Studie „Stadtmassaker und Sozialverbrechen“ ebenfalls militärische Strategien offen, die einen „geheimen Anstifter“ haben: „… den großen Thyssen. Dort läuft es ganz ähnlich wie im Rathaus, nur dass Thyssen sich nicht im Mindesten das Wort Demokratie anziehen muss. Denn am Thyssen-Tor endet der demokratische Sektor der Bundesrepublik …“ Roland Günter forscht und ficht über Jahre mit den Bruckhausener Bürgerinitiativen, um festzustellen, „…ich fühlte mich wie in einem Kriminalstück. Auch hier gibt es viele Täter, aber der es in Bewegung setzt, bleibt lange verborgen …“

Der Kampf um Bruckhausen läuft seit Mitte der 1970er, wie es eine junge Gruppe von Künstlern der PSR (Politisch-Soziale Realität) um Arbei­terfotografie-Gründungsmitglied und späteren Professor für Fotografie und Intermedia, Jörg Boström, in einem berührenden Film über die Arbeit des Pastorenehepaars Monika und Michael Höhn erzählt, der zur Finissage der Ausstellung gezeigt wird. Zuvor berichten Kalle Gerigk, „Kalle für Alle“, und Werner Eggert über eine andere Variante der Vertreibung von Mietern aus ihrem vertrauten Wohnraum und Lebensumfeld am Beispiel Köln. Hier geht es um Luxussanierung. Mal ist es ein ausländischer „Investor“, der den Mietpreis um 74 Prozent erhöht, mal ist es die „gemeinnützige“ Wohnungsbaugesellschaft GAG, die ihren Mieterinnen und Mietern einen 60 Prozent höheren Beitrag abverlangt.

Noch in Erinnerung ist den Kölnern die Vernichtung des Barmer Viertels vor dem Messegelände. Nachdem ein Wohnblock mit rund 380 Mietwohnungen im Juni 2006 aufgrund eines Verwaltungsentscheides der Stadt Köln niedergerissen wurde, stand als letztes Gebäude der Gasthof zur Post völlig isoliert auf einer Fläche, wo Wohnraum für ca. 1000 Menschen in Parkraum, d. h. in die teuersten Parkplätze Kölns, verwandelt worden war. Für den Abbruch hatte die Stadt Köln schätzungsweise 75 Millionen Euro aufgewendet. Der Gasthof zur Post wurde nach langem Widerstand des Ehepaars Rosi und Günter Rüdiger in der Nacht vom 7. zum 8. Januar 2008 dem Erdboden gleich gemacht. Rosi erlitt drei Schlaganfälle. Ihr Mann Günter überlebte den Kummer nicht. Wenn er aus dem Fenster die Abrisskommandos sah, sagte er: „Das sieht aus wie im Krieg. Als ob Bomben eingeschlagen hätten.“ So ist es halt, das Leben im Kapitalismus.

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"Stadtmassaker – ein Krimi ohne Leichen?", UZ vom 27. November 2015



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