Stadt in Geiselhaft

Chris Hüppmeier

Eine ganze Stadt in Geiselhaft nehmen, weil man’s kann. Damit hatte Olaf Scholz ja bereits 2017 als Hamburger Erster Bürgermeister Erfahrung gesammelt, als er das damalige Herrschaftspersonal der G20-Staaten mitten in „seine“ Hansestadt einlud und damit das Leben der Hamburger für mehrere Tage zur Hölle machte. Sieben Jahre später zeigt Olaf den Berliner Bürgern, dass er auch in der Hauptstadt keine Skrupel hat. Vergangene Woche fand im Berliner Westen die Wiederaufbau-Konferenz für die Ukraine statt und legte die komplette Stadt für gut drei Tage lahm. Ganze Kieze wurden gesperrt, Hamburger Gitter, Stacheldraht und Räumpanzer in den Straßen, bis an die Zähne bewaffnete Polizisten, teils Totalausfall des ÖPNV: Alles nur, damit sich das „Who is who“ des Großkapitals, des Militärs und der Politik den ukrainischen Kuchen aufteilen konnte, wenn denn am Ende der Kriegseskalation des Werte-Westens noch etwas übrig ist von der Ukraine und den Ukrainern. Während bei der Eröffnung der Konferenz im Bundestag wieder astrein die deutsche Geschichte verfälscht wurde und kurzerhand ukrainische und nicht sowjetische Soldaten als Befreier vom deutschen Faschismus gefeiert werden konnten, warteten die Berliner am vollen S-Bahn Gleis, wo sie um ihren Feierabend gebracht wurden. „Aufbau für Berlin – ditt wär mal was!“, kommentierte eine wartende Werktätige sinngemäß. Es war nicht unbedingt verlorene Zeit am Gleis – im Gegenteil: die Zeit wurde genutzt, um mal abseits der Kriegspropaganda über Sinn und Unsinn dieses Krieges zu sprechen. Ob Olaf das so gewollt hatte?

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"Stadt in Geiselhaft", UZ vom 21. Juni 2024



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