Dass die Stabilität der Währung stets in Gefahr ist, wissen alle verantwortlichen Bundesbanker und höheren Beamten im Berliner Finanzministerium. Aber weiß es auch Peter Altmaier (oder wer sonst auf dem Stuhl des deutschen Finanzministers Platz nimmt)? Die Ergebnisse der Sondierungsgespräche haben die Zweifel genährt. Unter den Bundestagsabgeordneten der CDU entstand Unruhe. Eine Abgeordnete soll in der Fraktionssitzung sogar der Kanzlerin Fragen gestellt haben und sie mit einem Zitat von Professor Otmar Issing genervt haben. Es lautet, die Sondierungsergebnisse müsse man als „Abschied von der Vorstellung einer auf Stabilität gerichteten europäischen Gemeinschaft verstehen.“ Issing ist nicht irgendwer. Der Professor aus Würzburg hatte sich 1999 vom Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank zum Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank wandeln lassen und hat in dem nun größeren Deutschland, der Eurozone, die Preisstabilität nicht nur definiert (knapp unter 2 Prozent Inflation) sondern sie auch hergestellt.
Herbeiführung von Stabilität ist und war für Issing stets gleichbedeutend mit geringen Staatsausgaben. Eine Geld- und Kreditblase störte da nicht, ebensowenig wie der diesen Blasen folgende Finanz-Crash. Deshalb berät Professor Issing seit seiner Pensionierung auch nicht nur (kostenlos) Frau Merkel, die CDU-Abgeordneten und alle anderen Deutschen, sondern auch (gegen nettes Entgelt) die wichtigste und sehr gut vernetzte New Yorker Investmentbank Goldman Sachs.
EU-Europa verdankt Deutschland (und seinen großen Frauen und Männern wie Issing) die Einführung der Schuldenbremse. Sie wurde im Dezember 2011 als „Fiskalpakt“ beschlossen. Sie verbietet den EU-Staaten das Schuldenmachen. Das ist wahre Stabilität und zeigt, wie segensreich die Eurokrise sein kann. Nur dank dieser Krise gelang es den deutschen Stabilitätstützen ihre Vorstellung von Tugend durchzusetzen. In der Eurofinanzkrise galt kein Firlefanz von gleichen Rechten der Einzelstaaten, da galt die Vorherrschaft des größten Geldgebers. Welches Land zu welchen Konditionen Geld erhielt, entschied – im Sinne Issings – der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
Nun ist Schäuble auf den Ehrenposten des Bundestagspräsidenten entrückt und wacht nicht mehr im Sinne Issings über deutsche Vorherrschaft und EU-Stabilität. Noch im Amt hat er seinen Nachfolgern aber den großen Gedanken überliefert, den ESM in einen IWF für und von Europa umzuwandeln. Der ESM (ausgeschrieben Europäischer Stabilitätsmechanismus) ist ein Notkonstrukt, das die Finanzminister der Eurozone geschaffen haben, um Kredite zur Vermeidung der unkontrollierten Staatspleite ausreichen zu können. Das ist ganz ähnlich wie das, was der Internationale Währungsfonds (IWF) mit Sitz in Washington seit seiner Gründung auch macht. Der Unterschied ist: Beim IWF sind die USA der größte Anteilseigner, beim ESM ist es Deutschland. Schäuble, so können wir mit Sicherheit annehmen, wollte an diesen Mehrheits- und Machtverhältnissen im Zuge der Umwandlung des ESM in einen Euro-IWF nichts ändern. Er wollte lediglich dem Instrument, das sich in seiner Hand so bewährt hatte, Dauerhaftigkeit verleihen, um es auch jederzeit dafür verwenden zu können, vom Volk oder den Gewerkschaften instabil gemachte Schwachstaaten mittels Kredit gefügig zu machen.
Nun taucht dieser Plan ganz offiziell in den Vereinbarungen zur GroKo auf und verursacht bei Professor Issing und einigen Bundestagsabgeordneten Herzklopfen. Denn sie lesen im Sondierungspapier – nicht auszudenken, am Ende auch im Regierungsprogramm: „Den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) wollen wir zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln, der im Unionsrecht verankert sein sollte.“ Parlamentarisch kontrolliert, damit wird man ja fertig. Aber unser Währungsfonds nach EU-Recht – das ist stark. Das hieße ja beinahe ein Land, eine Stimme. Die mühsam erkämpfte Vorherrschaft deutscher Stabilitätskultur geriete in Gefahr. Wir wissen auch, dass Martin Schulz diesen Satz im Auftrag des hinterlistigen christdemokratischen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker ins Sondierungspapier manipuliert hat.
Wie sehr Frau Merkel schon der Gegenseite angehört, erkennt man daran, dass sie auf bittere Vorhaltungen spöttisch erwiderte, auch die EZB sei schließlich im Unionsrecht verankert und „gleichwohl unabhängig“. Ist ihr wohl entgangen, dass im Frankfurter EZB-Turm ein Italiener tückisch und diktatorisch die deutsche Stabilitätsriege ausmanövriert? Diese wird wohl im Bundestag auf Hilfe von FDP und AfD bauen müssen, soll das stabile Vaterland nicht untergehen.