Auch aktuell fehlen Ausbildungsplätze

Stabiler Mangel

Von Werner Sarbok

Armutsrisiko „ungelernt“

Von allen abhängig Beschäftigten ohne Berufsausbildung verdienten 2015

43,6 Prozent weniger als 10,22 Euro pro Stunde

Euro/monatlich    Euro/jährlich

Brutto-Gehalt    1 798,00    21 576,00

Abzüge gesamt     521,14    6 253,73

Netto-Gehalt     1 276,85    15322,27

In der vergangen Woche hat die Bundesanstalt für Arbeit die Bilanz des Berufsberatungsjahres 2016/2017 vorgelegt. Raimund Becker, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit (BA), charakterisierte dabei die Situation am Ausbildungsmarkt als stabil. Allerdings hätten regionale, berufliche und qualifikatorische Ungleichgewichte zugenommen und den Ausgleich teilweise erschwert. Deshalb sei sowohl die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen als auch die Zahl der unversorgten Bewerber etwas höher als im letzten Jahr.

Nach den Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, des Handwerkskammertages sowie der Kammern der Freien Berufe wurden bis zum 30. September 2017 insgesamt 480 000 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen. Das waren rund 5 300 mehr als vor einem Jahr.

Bundesweit kamen laut der Bundesanstalt für Arbeit auf 100 gemeldete betriebliche Ausbildungsstellen 105 gemeldete Bewerber. Am 30. September 2017 sind 23 700 Bewerber noch unversorgt. Neben den „unversorgten Bewerbern“ gibt es 56 500 Bewerber, die zum 30. September zwar in eine Alternative eingemündet sind, ihren Vermittlungswunsch in eine duale Ausbildung jedoch aufrechterhalten. Ihnen stehen unbesetzte 48 900 Ausbildungsstellen gegenüber. 31 300 Ausbildungsplätze würden demzufolge rein rechnerisch fehlen, allerdings muss das unterschiedliche regionale und fachspezifische Angebot berücksichtigt werden.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack führte zu diesen Zahlen weiter aus, dass zusätzlich noch 300 000 Jugendliche in den zahllosen Maßnahmen im Übergang von der Schule in die Ausbildung feststecken. „Rund 1,2 Millionen junge Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren haben keine abgeschlossene Ausbildung, befinden sich nicht in Ausbildung, in einem Studium oder einem Freiwilligendienst. Die Ausbildungslosigkeit in dieser Gruppe liegt laut Statistischem Bundesamt bei 13 Prozent.“

Regional betrachtet waren in Süddeutschland, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und im Saarland deutlich mehr Ausbildungsstellen als Bewerber gemeldet. Im Gegensatz dazu fehlten betriebliche Ausbildungsstellen vor allem in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Offene Stellen gibt es vor allem für Hotel- und Gaststättenberufe sowie für viele Handwerksberufe, zum Beispiel im Lebensmittelhandwerk und im Lebensmittelverkauf, in der Orthopädie- und Rehatechnik oder in Bau- und Ausbauberufen. Im Gegensatz dazu gab es viel weniger Ausbildungsstellen als Bewerber zum Beispiel in Büro- und Verwaltungsberufen, in der Kfz-Technik, der Informatik oder in der Medizinischen Fachassistenz.

Vor diesem Hintergrund ist es bezeichnend, dass die SPD das Thema Berufsausbildungsabgabe in der Diskussion zu den Koalitionsverhandlungen und in ihrer neuerlich geführten Gerechtigkeitsdebatte nicht erwähnt, was eigentlich ihrer Beschlusslage entspricht. Es sei daran erinnert, dass die Sozialliberale Koalition 1976 mit dem Ausbildungsplatzförderungsgesetz auch eine von den Unternehmen zu zahlende Berufsausbildungsabgabe als Sonderabgabe beschlossen hatte. Sie sollte die  überbetriebliche Ausbildung oder Zuschüsse zur betrieblichen Ausbildung finanzieren. Das Bundeskabinett sollte jährlich prüfen, ob ein Lehrstellenmangel vorliegt. Der Maßstab dazu war ein Mindestüberhang von Ausbildungsplätzen von 12,5 Prozent der angebotenen Ausbildungsplätze.

Elke Hannack kritisierte, dass bei den Jamaika-Sondierungen sich dazu bisher kein Wort zum Thema Ausbildungslosigkeit findet und erklärt: „Die Fliehkräfte in unserer Gesellschaft wachsen, wenn eine konstant hohe Zahl von Jugendlichen den Sprung in Ausbildung nicht schafft und gleichzeitig eine wachsende Zahl an betrieblichen Ausbildungsplätzen offen bleibt.“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Stabiler Mangel", UZ vom 10. November 2017



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Baum.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit