Für die westlichen Kriegsmedien war es natürlich klar: Putin war’s. Aber mal ernsthaft: Natürlich gibt es für die Urheberschaft der Sprengstoffanschläge auf die Nord-Stream-Pipelines NS1 und NS2 keinen echten Beweis. Betrachtet man allerdings die Interessenlage, so liegt die Sache klar auf der Hand. Die USA profitieren, man kann sagen als einzige, massiv von der Zerstörung einer für die von Deutschland dominierten europäischen Staaten entscheidend wichtigen Gasinfrastruktur. Der große Verlierer dieses Anschlags ist Europa – und in Europa vor allem sein industrielles Zentrum, der „Exportweltmeister“ Deutschland.
Die US-Kriegsmaschine hat mehr als 100 Jahre Erfahrung in der Inszenierung und Durchführung solcher Operationen. Vor allem, wenn es darum geht, einen Kriegsgrund zu schaffen, gibt es wohl kaum jemanden, der den US-Diensten das Wasser reichen kann – Ehre, wem Ehre gebührt. Die Sprengung von NS1 und NS2 dürfte für sie wohl eher zu den einfacheren Übungen zählen.
Mit der Pipelinesprengung sind die Brücken Deutschlands und Resteuropas nach Russland endgültig abgebrochen. Es gibt kein Zurück zu den Vorsanktionszeiten. Die Zerstörung der preiswerten Energieversorgung Europas ist damit zu einem Dauerzustand geworden. Selbst wenn es in der Lage sein sollte – wofür es bislang keine Anhaltspunkte gibt –, seine Energieversorgung irgendwie zu sichern, so würde der damit verbundene Preisanstieg die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Exportindustrie dauerhaft ruinieren. Schon jetzt übertrifft der in Deutschland zu zahlende Gaspreis die in den USA zu zahlenden Preise um den Faktor Acht.
Die durch die Sanktionen ausgelöste Energiekrise verstärkt und revitalisiert die 2019 ausgebrochene und keineswegs überwundene Systemkrise, welche schon durch die Anti-Corona-Maßnahmen massiv verstärkt wurde und nur durch das Drucken von Tonnen frischen Geldes an einem kompletten Kollaps gehindert werden konnte. Durch das Drucken von immer mehr Euros ist allerdings der Energienotstand nicht zu überwinden. Schon jetzt verzeichnen zahlreiche europäische Länder zweistellige Inflationsraten. Und diese Inflation begann schon vor dem 24. Februar. Weltweit werden die Leitzinsen angehoben. Der gewaltige Kaufkraftverlust durch die Inflation und die exorbitanten Energiepreise werden trotz aller „Hilfspakete“ zu massenhaften Insolvenzen im Kleingewerbe und der mittelständischen Industrie führen. Die Großindustrie wird sich zu neuen Ufern aufmachen, vorwiegend vermutlich in die USA. Millionen von Arbeitsplätzen stehen im Feuer. Die europäische Wirtschaft rutscht auf einer abschüssigen Ebene dem Abgrund entgegen. Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar im vergangenen Jahr mehr als 18 Prozent verloren.
Durch die Pipelinesprengungen ist diese Entwicklung festbetoniert worden. Selbst wenn sich die Ampel besinnen würde – was sie natürlich nicht tut –, dass sie einen Eid geschworen hat, die Interessen des deutschen Volkes zu schützen und nicht die des militärisch-industriellen Komplexes oder von Big Oil der USA, wären ihre Möglichkeiten nun ausgesprochen begrenzt. Klar, das Ziel dieses flagranten Staatsterrorismus ist natürlich auch Russland. Aber Russland hat seine Wende nach Asien längst eingeleitet. Asien und der Globale Süden, das ist die Zukunft – dort liegt ein riesiger Markt für russische Produkte. Das eigentliche Ziel der USA ist Europa mit seiner Führungsmacht Deutschland – deren 50-jährige Erfolgsgeschichte ist nun abrupt beendet worden.
Die „Neue Ostpolitik“ Willy Brandts – oder, so der damalige DDR-Außenminister Otto Winzer, „die Konterrevolution auf Filzlatschen“ – ermöglichte den Bau eines leistungsstarken Pipelinesystems, welches Westeuropa sicher mit preiswertem Öl und Gas versorgte. Vor allem das hochindustrialisierte Deutschland erhielt dadurch einen massiven Wettbewerbsvorteil und konnte nach 1989 seine im Zweiten Weltkrieg verspielte Stellung als dominante Industriemacht des Kontinents erneut erringen. Im Zuge der Deindustrialisierung und des beschleunigten Abstiegs der „einzigen Weltmacht“ USA formierte sich aber die Kritik an der deutschen Energieversorgung zum Vorzugspreis. Konnten die bestehenden Pipelines durch die US-Vasallen Polen und Ukraine wirkungsvoll blockiert werden, so schufen die neuen Röhren NS1 und NS2 für Deutschland die Möglichkeit, sich den USA zumindest partiell zu entziehen. Die Ostseeröhren standen von Beginn an im Feuer. An einem deutschen Schaufenster zum Osten ist in Washington niemand mehr interessiert. Angesichts des Ukraine-Konflikts wird sich die Mannschaft des Teleprompter-Ablesers im Weißen Haus gedacht haben, dies sei eine günstige Gelegenheit, den ungeliebten Konkurrenten loszuwerden. Das teure US-Frackinggas wird nun zu einem Angebot, das Europa und dessen deutsche Führungsmacht nicht mehr ablehnen können.
Annalena Baerbock, Robert Habeck und Olaf Scholz haben in etwa das eingeleitet, was Margaret Thatcher und Anthony Blair in Britannien vorexerziert haben: die Deindustrialisierung des eigenen Landes. Und Washington hat es zu einem permanenten Zustand gemacht. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. Das betroffene Schweigen der Kriegsmedien macht den Schock deutlich. Mit mehrfach teurerem Gas und Öl ist der technologiebasierte Industriestandort Deutschland nicht konkurrenzfähig. Wenn diese Energie denn überhaupt verfügbar ist – wie zuverlässig unser neuer Hauptversorger ist, hat er ja gerade in der Ostsee bewiesen. Jetzt befinden sich die Gasventile in Washington. Wie Deutschland ohne chemische Industrie, ohne Autoindustrie, ohne eine leistungsfähige Landwirtschaft aussehen soll, vermag man sich kaum vorzustellen. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben schätzte im Juni, dass wir „am Ende 20 bis 30 Prozent ärmer sein“ würden. Mal abgesehen davon, dass die Verarmung sehr unterschiedlich ausfallen wird, ist nun kein „Ende“ mehr in Sicht. Eine massive Rezession in Europa dürfte kaum noch abwendbar sein. Es ist gut möglich, dass es für Millionen um weit mehr als 20 bis 30 Prozent geht.
Washington hat sein großes Ziel erreicht: die endgültige Trennung Europas von Russland. Seit 1945 hat es dafür gesorgt, dass in Deutschland und Westeuropa nur der etwas in Politik und Gesellschaft werden konnte, der den Befehlen aus Washington beflissen zu folgen bereit war. Nun hat sich die Pflege der deutschen Landschaft ausgezahlt: Mission accomplished!