Medien und Politik verstärken Angriffe gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Staatsräson und Mottenkiste

An der Heimatfront gibt es tatsächlich genug zu tun, auch nicht erst seit gestern“, so rührt der Kommentator der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Trommel nach den von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verfügten Verboten für den Verein „Samidoun“ und die Hamas in Deutschland. Die „taz“ huldigt dem Vizekanzler („Dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte, so steht Robert Habeck da“) am gleichen Tag für sein Video, in dem er dem Publikum erklärt, weshalb „Israels Sicherheit deutsche Staatsräson (ist)“. „Genau der Ton, den das Land jetzt braucht“, belehrt der „Stern“. Die per Federstrich erlassenen Verbote passen nur zu gut zur geistigen Aufrüstung und Stimulation der Pickelhauben-Wehrhaftigkeit à la Boris Pistorius (SPD): „Wir müssen kriegstüchtig werden.“ Das Ausländerrecht soll auch gleich in Stellung gebracht werden.

Bisher haben sich die Verwaltungsgerichte gesträubt, der politisch verordneten Direktive „Staatsräson“, die sich juristisch verpflichtend allerdings nirgendwo findet, Folge zu leisten. Noch am 23. August hatte das Verwaltungsgericht Berlin entschieden, dass das Posten der Losung „From the River to the Sea, Palestine will be free“ auf „Instagram“ „weder einen Aufruf zu Gewalt und Terror (beinhaltet) noch negiert der Slogan für sich genommen das Existenzrecht Israels“. Das Gericht verneinte das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes. Was selbst der Staatsanwaltschaft Berlin in diesem Fall nicht zur Verfolgung gereicht hatte, soll nun drei Monate später völlig anders zu bewerten sein. Eine Sprecherin der Berliner Polizei gab am vergangenen Freitag bekannt, die Staatsanwaltschaft sehe „bei der Parole einen Anfangsverdacht auf Volksverhetzung, weil das Existenzrecht Israels dadurch betroffen sei“.

Der Wechsel der Sichtweise zeigt anschaulich, wie es um den Stellenwert der in der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit bestellt ist, wenn sich politisch der Wind dreht. Weitere Verschärfungen werden nicht auf sich warten lassen. Schon werden in den Innenministerien der Länder und des Bundes Überlegungen angestellt, wie Paragraf 53 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes neu belebt werden kann. Dort ist die Ausweisung vorgesehen, wenn der Aufenthalt des Ausländers „zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder sonstiger erheblicher Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ führt. Da sind der Fantasie keine Grenzen mehr gesetzt. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wartete am Montag mit der Forderung auf, „Terrorunterstützern“ mit deutschem Pass der Einfachheit halber die Staatsangehörigkeit zu entziehen.

Auf der Suche nach Sanktionsmöglichkeiten gerät auch die Versammlungsfreiheit unter Beschuss. Geschützt ist die Versammlungsfreiheit nach Artikel 8, Absatz 1 des Grundgesetzes allein für „alle Deutschen“. Was bisher aus guten Gründen in der Mottenkiste wortgetreuer Verfassungsauslegung für unanwendbar gehalten wurde, feiert im Klima „enger Meinungskorridore“ nun fröhliche Urständ. Noch stößt das bei Verfassungsrechtlern wie dem Berliner Professor Clemens Arzt auf Spott, „Versammlungsbehörden und Polizei (können) schwerlich vor jeder Demo die Ausweise kontrollieren“.

In Kiel ist man da schon weiter: Eine Kundgebung am 8. November, zu der die DKP auf dem Platz der Kieler Matrosen aufgerufen hat („Für Völkerverständigung und Frieden“), will die Stadt Kiel mit der Auflage reglementieren: „Für Wortbeiträge während der Versammlung ist ausschließlich die deutsche Sprache zu verwenden.“ Die Auflage sei erforderlich, „um beurteilen zu können, ob die Redebeiträge zweifelsfrei von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und dass sie nicht gegen geltende Strafnormen (…) verstoßen“. Ein neues Kapitel der Staatsräson wird aufgeschlagen.

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"Staatsräson und Mottenkiste", UZ vom 10. November 2023



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