Im Stuttgarter Gemeinderat will die CDU dafür sorgen, dass das Palästinakomitee Stuttgart aus dem Forum der Kulturen geworfen wird. UZ sprach mit Attia Rajab, Sprecher des Palästinakomitees, über die Hintergründe. Attia Rajab ist im Gaza-Streifen geboren und aufgewachsen. Seit mehr als 40 Jahren ist der Bauingenieur in der Palästina-Solidarität aktiv.
UZ: Wie lange existiert das Palästinakomitee in Stuttgart und wie kam es zur Gründung?
Attia Rajab: Das Palästinakomitee gibt es seit 1982. Es wurde gegründet als Reaktion auf den Einmarsch des Staates Israel im Südlibanon und die Massaker in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila mit mehr als 3.000 Toten. Schon damals war ein sehr breites politisches Spektrum im Komitee vertreten, Palästinenserinnen und Palästinenser, Menschen aus der politischen Linken, unter anderem von der DKP, Grüne und Jusos. Bis heute finden bei uns Menschen unterschiedlichster politischer Richtungen zusammen. Als wir im Jahr 2010 unsere erste große, sehr erfolgreiche Konferenz in Stuttgart organisierten, haben wir festgestellt, dass wir eine fest verankerte organisatorische Struktur brauchen und gründeten einen Verein.
UZ: Worin bestehen Ihre Aktivitäten?
Attia Rajab: Der wichtigste Bestandteil ist Informationsarbeit, zum Beispiel mit einem monatlichen Infobrief, der bereits seit neun Jahren erscheint. Die Diskussion in Deutschland ist sehr eingeschränkt und hinkt weit hinter dem Erkenntnisstand hinterher, der in vielen anderen europäischen Ländern und weltweit existiert. Wir organisieren Konferenzen, Demonstrationen, Konzerte, Vorträge und andere Veranstaltungen zur Geschichte und Kultur Palästinas wie zum Beispiel den jährlichen Nakba-Tag. Wir sammeln Spenden im medizinischen Bereich und unterstützen Krankenhäuser in Gaza. Wir leisten Hilfe für Flüchtlinge, viele von ihnen sind Palästinenserinnen und Palästinenser aus Gaza, Syrien oder Libanon. Wir arbeiten auch eng mit Organisationen und Personen in der Stadt zusammen, die gegen Rassismus, Kolonialismus sowie für Demokratie und soziale Gerechtigkeit eintreten. Zu unseren engen Partnern gehören auch die Jüdische Stimme für gerechten Frieden und andere jüdische Oppositionelle. Das stärkt uns sehr.
UZ: Die Stuttgarter CDU versucht, Sie per Antrag an den Gemeinderat aus dem Forum der Kulturen auszuschließen. Welche Funktion hat denn dieses Forum und wer ist darin vertreten?
Attia Rajab: Das Forum der Kulturen ist der Dachverband der Migrantenvereine mit mehr als 150 Vereinen in Stuttgart und auch darüber hinaus. Das Forum fördert deren Arbeit und gibt ihnen mit dem jährlichen großen und in der Stadt sehr beliebten Sommerfestival der Kulturen im Stuttgarter Zentrum eine Bühne. Selbstverständlich achtet das Forum der Kulturen auf ein gutes Miteinander ohne Rassismus und Antisemitismus. Das Palästinakomitee ist seit zehn Jahren ein aktives Mitglied im Forum der Kulturen.
UZ: Und warum dann der Versuch des Ausschlusses? Was werfen die Konservativen Ihnen denn vor?
Attia Rajab: Die Vorwürfe lauten Antisemitismus und Terrorverherrlichung. Wer den Antrag liest, merkt bereits am Text, dass die CDU-Fraktion diese Vorwürfe nicht begründen kann. Antisemitismus wird einfach ohne Erläuterung behauptet. Ansonsten werden in arabische Äußerungen Dinge hineininterpretiert, die weder geschrieben noch gesagt wurden. Und der Antisemitismusvorwurf kam ausgerechnet nach unserer Demonstration zum Jahrestag des 7. Oktober als Beginn des israelischen genozidalen Krieges gegen Gaza. Auf dieser Demonstration sprach unsere gute Freundin Prof. em. Dr. Fanny-Michaela Reisin, Mitbegründerin der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden. Sie hat selbst Verwandte, die sich noch als Gefangene im Gazastreifen befinden, und sprach auch deutlich darüber. Natürlich hat sie auch klar gegen die rechtsextreme Netanjahu-Regierung Stellung bezogen und betont, wie viele Betroffene vom 7. Oktober gegen diese Rechtsextremen demonstrieren. Wir fragen uns, will die CDU-Fraktion diese israelische Regierung, die so stark international kritisiert wird, stützen?
Vermutlich reagiert die CDU, wie bereits bei früheren Attacken gegen das Palästinakomitee, sogar auf den Druck von israelischen Politikern wie dem ehemaligen Ministerpräsidenten Jair Lapid oder von Vertretern der aktuellen Regierung. Diese Personen üben schon länger Druck auf die Stadt und andere Verantwortliche aus, um das Palästinakomitee an der Arbeit zu hindern oder sogar verbieten zu lassen.
UZ: Wie haben Sie auf den Antrag der CDU reagiert?
Attia Rajab: Wir haben eine sehr ausführliche Erklärung verfasst, in der wir alle Vorwürfe widerlegen und auch offensiv das nicht haltbare Vorgehen der CDU-Fraktion benennen. Diese Erklärung ging an alle Gemeinderäte, an die Presse und auch an eine breitere Öffentlichkeit. Inzwischen haben wir auch sehr viele Unterschriften von Unterstützerinnen und Unterstützern erhalten, wiederum aus einem breiten Spektrum.
UZ: Welche Folgen hätte ein Ausschluss aus dem Forum der Kulturen für Ihre politische Arbeit?
Attia Rajab: Wichtig ist, das Forum hat sich von den früheren Angriffen auf das Palästinakomitee seitens der CDU und auch der AfD nicht beeinflussen lassen. Unsere Positionen und Aktivitäten sind dort gut bekannt. Wenn es jetzt zum Ausschluss käme, wäre das ein schlechtes Signal für das Klima in der Stadt. Es würde gezeigt, dass es möglich ist, sich in die Autonomie eines Vereins einzumischen und politischen Druck auszuüben. Ganz abgesehen davon, dass das ein Verstoß gegen das Vereinsrecht wäre. Unser Ausschluss würde auch die Sichtbarkeit der Palästinenserinnen und Palästinenser stark beeinträchtigen. Das strebt zum Beispiel die Deutsch-Israelische Gesellschaft an, die seit Jahren versucht, gemeinsam mit CDU und AfD unseren Nakba-Tag im Zentrum der Stadt verbieten zu lassen.
UZ: Gibt es denn auch Gemeinderatsfraktionen, die sich mit Ihnen solidarisiert haben?
Attia Rajab: Ich denke, die Gemeinderäte der Fraktion „Die Linke“/SÖS wollen gegen den Antrag stimmen. In der Fraktion der Grünen und in anderen Fraktionen hat es aus den oben genannten Gründen auch Stimmen gegen den Antrag gegeben. Soweit wir beobachten können, wird jedoch sehr viel Druck ausgeübt, vor allem unter Missbrauch des Antisemitismusvorwurfs.
UZ: Wie werden Sie in der Sache weiter vorgehen?
Attia Rajab: Wir lassen uns nicht unterdrücken. Wir wollen auch unsere rechtlichen Möglichkeiten prüfen, um gegen die Verleumdungen vorzugehen. Dazu haben uns auch Juristen geraten. Die CDU-Rathausspitze hat erst im Januar dieses Jahres gegen uns vor Gericht verloren. Es ging um den erneuten Versuch, unsere Kontaktdaten von der Homepage der Stadt Stuttgart zu streichen. Das Gericht hat ein früheres Urteil zu unseren Gunsten bekräftigt. Unsere Kontaktdaten wurden wieder aufgenommen. Ein Vorgehen wie das der Stuttgarter CDU darf nicht hingenommen werden. Das vergiftet das demokratische Klima in der Stadt und gefährdet Grundrechte wie zum Beispiel die Meinungsfreiheit. Wir werden auch weiterhin die Mitverantwortung deutscher Politiker für die Weiterführung des genozidalen Krieges in Gaza und die brutalen Angriffe auf den Libanon und andere arabische Länder benennen. Wir werden auch nicht aufhören, gegen die deutschen Waffenlieferungen an den Staat Israel zu demonstrieren. Wir werden uns auch weiterhin für die Rechte der Palästinenser und aller anderen unterdrückten Völker einsetzen. Rassisten, Antisemiten, Imperialisten und ihre Unterstützer haben bei uns keine Chance.