Die Abwrackprämie: Zu wenig, die falsche Zielgruppe, das falsche Objekt

Staatsknete für Aktionäre

In der Krise liegt das Geld auf der Straße, genauer, im Kanzleramt, scheinen sich die Bosse der deutschen Automobilindustrie und ihr politisches Personal in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen zu sagen. Seit einigen Tagen wird kräftig die Trommel gerührt, um eine Neuauflage der umstrittenen Abwrackprämie aus dem Jahre 2009 durchzusetzen. Abwrackprämie, das bedeutet steuerfinanzierte „Staatsknete“, um Milliarden-Dividende für Reiche und Superreiche zu garantieren. Und bei so einem Vorhaben sind dann auch der bayrisch-christliche Markus Söder, der blässlich-rote VW-Miteigentümer Stephan Weil und der grüne Superrealo Winfried Kretschmer schnell einig: „Der Bund steht in der Pflicht!“

3.000 Euro Zuschuss beim Kauf eines Verbrenners beziehungsweise 4.000 Euro beim Kauf eines „Plug-in-Hybriden“, eines E- oder Wasserstoff-Autos, sollten schon rollen. Natürlich „on top“ auf die ohnehin schon existierenden Kaufprämien. Noch ist die Entscheidung vertagt, aber wer Frau Merkel kennt, weiß: sie wird kommen.

Die Abwrackprämie kostete den Steuerzahler 2009 etwa 5 Milliarden Euro. 1,93 Millionen Neufahrzeuge wurden unter Inanspruchnahme dieses Programms gekauft. Die 5 Milliarden landeten bei den Autoherstellern. Der realwirtschaftliche Effekt: 2006, auf dem Höhepunkt der Globalisierungsparty, wurden 3.467.961 Pkw neu zugelassen. 2008, als die Krise voll durchgeschlagen hatte, waren es noch 3.090.040 Pkw. 2009, mit Hilfe der Abwrackprämie, schnellte die Verkaufszahl auf 3.807.175 Pkw hoch, um aber in 2010 wieder um etwa die gleiche Stückzahl auf 2.916.260 Pkw zurückzufallen. Die Verkaufszahlen stabilisierten sich in den folgenden Jahren bei knapp über 3 MillionenStück – das sind gut 400.000 weniger als 2006. In der neoliberalen Argumentation hat die Abwrackprämie, wie keynesianische Konjunkturpolitik insgesamt, nichts gebracht. Es hat einen gewissen Vorzieheffekt gegeben, der im nächsten Jahr wieder zunichte gemacht wurde.

Lässt man die quasi-religiöse Dogmatik der Neoliberalen beiseite, so darf man zur Kenntnis nehmen: Der Markt regelt keineswegs alles zum Besten. Krisen gibt es sehr wohl. Seit 2007 befindet sich der „westliche“ Kapitalismus im Krisenmodus und wird nur durch gigantische Summen „frischen“ Geldes, das von der Zentralbank kommt, am Laufen gehalten.

Jetzt, 2020, sehen wir die Fortsetzung von 2007. Diese Krise dürfte wohl alles in den Schatten stellen, was wir seit der Großen Depression der 1930er Jahre gesehen haben. Schlimmer als noch 2009 ist die Realwirtschaft, die Industrieproduktion, in weiten Bereichen zusammengebrochen. Die globalisierten Just-in-Time-Produktions- und -Versorgungsketten sind zerrissen, Exportmärkte sind zusammengebrochen. Die deutsche Realwirtschaft ist zu 50 Prozent vom Export abhängig. Angesichts der Krise gab es 2009 die dringende Notwendigkeit, aus der Spirale einer sich immer weiter verengenden merkantilistischen Krisenökonomie mit expansiven Impulsen und einer Orientierung auf den Binnenmarkt, auf bessere Löhne, Infrastrukturausbau, soziale Leistungen, Gesundheitspolitik und Bildung auszubrechen. Es ist nicht geschehen. Es wäre heute umso dringlicher. Stattdessen kam die Abwrackprämie.

Angesichts der menschlichen und sozialökonomischen Katastrophe der 1930er Jahre entwickelten bürgerliche Ökonomen die Vorstellung, dass es nicht genügt, auf den Markt zu verweisen, sondern dass es notwendig sei, eine aktive Wirtschafts- und Konjunkturpolitik des Staates zu fordern und durchzusetzen. Keynes vervollständigte diesen Ansatz der kreditfinanzierten, expansiven Konjunkturpolitik, „Deficit spending“, 1936 in seiner „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“. Der Keynesianismus beherrschte die Wirtschaftspolitik des „Westens“ bis in die 1970er Jahre. Es waren die „Goldenen Jahre“ des Kapitalismus. Die Abwrackprämie ist gewissermaßen die Karikatur dieser aktiven Konjunkturpolitik. Nicht völlig ohne Wirkung, aber zu wenig, mit der falschen Zielgruppe und am falschen Objekt. Die Bundesrepublik kam relativ schnell aus der akuten Krise, weil sie ihre Krisenphänomene in die EU exportieren konnte. Womit sie auf diese Weise die sozialökonomische Basis der europäischen Integration zerstörte. Sollte die Bundesregierung das noch einmal versuchen, wofür viel spricht, so wäre das das Ende der EU.

Der IWF rechnet schon jetzt mit einem Wirtschaftseinbruch von 7 Prozent in diesem Jahr. Der „globalisierte“ Kapitalismus legt ein weiteres Mal seinen Offenbarungseid ab. Man kann, um zu retten, was zu retten ist, aktive Wirtschaftspolitik sehr unterschiedlich gestalten. Man kann große Infrastrukturprojekte angehen, wie es die USA in den 1930er Jahren taten, als sie ganze Regionen infrastrukturell erschlossen, oder man kann Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe bauen, wie es die Faschisten machten. Oder man kann der Autolobby die Milliarden in die Taschen stecken, wie es nun Schwarz-Rosa zum zweiten Mal tun wird. Die Ergebnisse sind entsprechend.

Es gibt einen gewaltigen gesellschaftlichen und sozialen Investitionsbedarf. Immer hieß es, es sei kein Geld da. Das war schon immer kompletter Unsinn. Nun ist ganz offenkundig Geld ohne Ende verfügbar. So viel, dass sich die Verteidigungsministerin – mitten in der Krise – ohne Sinn und Verstand 45 F-18-Kampfjets kaufen kann. Warum also damit nicht vernünftige, auf die Zukunft und die Erhaltung der Umwelt gerichtete Dinge unternehmen? Warum beispielsweise nicht die öffentlichen Nahverkehre fördern und ausbauen – kostenfrei für alle? Warum nicht Kitas bauen, Schulen sanieren, Pflegekräfte einstellen und gut bezahlen, statt nur billig zu applaudieren? Warum nicht all diejenigen fördern und gut bezahlen, die das Gemeinwesen wirklich am Laufen halten, statt überflüssigen Spekulanten und Kuponschneidern die Milliarden in den Rachen zu werfen und überholte Technik mithilfe von Staatsknete über die Resterampe zu verhökern? In China, dem weltgrößten Automarkt, funktioniert das ohnehin nicht mehr lange.

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"Staatsknete für Aktionäre", UZ vom 15. Mai 2020



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