Der Ex-Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb (SPD), sieht in ihm den „Volkspädagogen der Nation“. Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) befürchtet, dass seine Chefin, „die sozialdemokratische Innenministerin, selbst zu einer Gefahr für die Demokratie wird“ und fast jeder zweite (48 Prozent) Bundesbürger bekundet in einer Umfrage vom März 2024, dass der von ihm geführte Verfassungsschutz (BfV) zu politischen Zwecken missbraucht wird. Die Rede ist von Thomas Haldenwang, dem höchsten Wächter über „verbale und mentale Grenzverschiebungen“.
Angesichts der Vielfalt und Dramatik innerer und äußerer Gefahren, denen sich der deutsche Staat aktuell und zukünftig ausgesetzt sieht, könnte man fast Mitleid mit Haldenwang haben. Am 18. Juni stand das alljährliche Highlight zur Offenbarung des verfassungsfeindlichen Bedrohungsszenariums an, der Chef des Inlandsgeheimdienstes präsentierte zusammen mit Innenministerin Nancy Faeser (SPD) den „Verfassungsschutzbericht 2023“. Vor den nur schwach besuchten Rängen der Berliner Bundespressekonferenz eröffnete der BfV-Chef die Bilanz des Schreckens: Eine Zunahme der extremistischen Bedrohungen im Inneren und allerorten „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ – ein Auffangbecken für alles, was sich unbotmäßige Bürger zur Lächerlichmachung und Verhöhnung des Systems einfallen lassen. Josef Franz Lindner, Rechtsprofessor an der Universität Augsburg, merkt ironisch an, dass damit „die Kabarettisten ihrer Grundlage beraubt“ werden. Delegitimierung sei nämlich kein Begriff der Verfassung, sondern eine schiere „Erfindung des Bundesamtes für Verfassungsschutz“.
Von außen drohen Desinformationskampagnen der „üblichen Verdächtigen“ Russland, China, Iran, dazu gesellt sich neuerdings auch das NATO-Mitglied Türkei. Abgerundet wird das Gemenge durch Cyberangriffe und Spionage russischer und chinesischer Dienste sowie das neue „phänomenübergreifende Sonderkapitel zu den Auswirkungen des Nahostkonflikts“, sprich: Palästina-Solidarität. Das BfV weiß nur zu genau: „Für dogmatische Linksextremisten ist die Palästina-Solidarität ein wesentliches und einander verbindendes Betätigungsfeld. Sie beinhaltet verschiedene Facetten bis hin zu Israelfeindschaft und Antizionismus.“
Nicht ohne Stolz in der Beamtenstimme verwies Haldenwang auf das „beachtliche Volumen“ seines 408 Seiten umfassenden Berichts, „ein Beleg für die enorme Arbeitsbelastung in allen Aufgabenbereichen des BfV“. Kennern der Materie zaubert diese Aussage indes eher ein Schmunzeln ins Gesicht, hat doch der Dienst mit immerhin 4.200 (offiziellen) Mitarbeitern es lediglich geschafft – bis auf einige textlich umgestellte Sätze und Weiterungen im Bereich Cyber, Desinformation und Spionage –, ein Reprint des Berichts „2022“ vorzulegen.
Neue Qualität gewinnen allerdings die Anwürfe der deutschen Schlapphüte gegen Investitionen Chinas in die deutsche Wirtschaft, denn diese „öffnen auch das Tor zu politischer Einflussnahme, Spionage und Sabotage“. Beileibe nicht genug: Chinesische Stellen verbreiten „Desinformation, um die Politik der KPCh in ein positives Licht zu rücken und die vermeintliche Überlegenheit des chinesischen Ordnungsmodells hervorzuheben“. Ganz gefährlich schließlich: Die „offene Informationsbeschaffung einschließlich eines Monitorings von Medien und sonstigen offenen Publikationen“ – haben die doch tatsächlich die Dreistigkeit, deutsche Zeitungen zu lesen. Und Achtung: Hinter jedem Smalltalk mit einem Bürger Chinas lauert die „offene Gesprächsabschöpfung“. Eh man sich’s versieht, sind streng gehütete Geheimnisse unseres wirtschaftlichen Erfolgs, um den uns angeblich die ganze Welt beneidet, versehentlich preisgegeben. Müßig zu erwähnen, dass das fantasiestrotzende Anti-China-Kapitel jeden Tatsachenbeleg für die herabwürdigenden Thesen schuldig bleibt.
„Entsprechende Passagen im Bericht sind an Absurdität kaum zu übertreffen. Sie zeugen von einer feindseligen Besessenheit gegen China, die schon an Verfolgungswahn grenzt“, diagnostiziert die Botschaft der Volksrepublik China die Ursachen für Haldenwangs Märchenstunde. In den Schreibstuben des BfV sollte man sich den Deutschunterricht für Viertklässler zum Vorbild nehmen: Ohne Tatsachen und Antworten auf die sieben „W-Fragen“ ist es kein „Bericht“, sondern bloß Geschwurbel.