Fröhliches Vonovia-Steuertricksen in Berlin – und alle sind bass erstaunt

Staatliche Fürsorge

Kolumne

Am 26. September 2021 stimmten mehr als eine Million Berliner, 59,1 Prozent der Wähler, für den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Am selben Tag fanden Bundestagswahlen und Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus statt. SPD, Grüne und „Die Linke“ stellten anschließend den Senat und schoben den Volksentscheid unlustig vor sich her. Die Berliner Linkspartei, die traditionell ihre Wähler auf den Arm nimmt, hatte sich im Wahlkampf noch für den Entscheid eingesetzt. Nach der Wiederholungswahl 2023 stellte der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im April 2024 klar: „Mit mir als Regierendem Bürgermeister wird es Enteignungen von Wohnungsunternehmen in dieser Stadt nicht geben. Punkt.“

Arnold Schoelzel 1 - Staatliche Fürsorge - Berlin, Deutsche Wohnen & Co enteignen, Mieten, Vonovia - Positionen
Arnold Schölzel

Der Protest war schwach, es folgte noch eine sozialdemokratische Luftnummer im Sommerloch: Anfang August forderte der SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh: Ein Rahmengesetz zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne in der Hauptstadt müsse „zeitnah“ auf den Weg gebracht werden. So wie es im Koalitionsvertrag von CDU und SPD im Frühjahr 2023 vereinbart worden sei. Da hatte der größte deutsche Immobilienkonzern Vonovia (543.000 Wohnungen bundesweit, davon etwa 113.000 in Berlin) gerade angekündigt, in den nächsten drei Jahren in der Hauptstadt die Mieten um bis zu 15 Prozent zu erhöhen. Damit war die mit dem Senat verabredete Deckelung auf 11 Prozent erledigt. Mitte August kam ein Geschenk der Bundesregierung hinzu: Die erhöhte das Wohngeld ab 1. Januar 2025 um 30 Euro – ein Ansporn zu Mieterhöhungen. Eine Mietbegrenzung ist dagegen für die Ampel tabu.

Wo so viel staatliche Fürsorge für Spekulanten garantiert ist, wird das Kapital munter. Mitte September verkündete Vonovia, sie wolle die 2021 zu 87 Prozent übernommene Berliner Tochter Deutsche Wohnen durch einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag enger an sich binden. Auf außerordentlichen Hauptversammlungen beider Firmen solle das im Dezember 2024 besiegelt werden.

So weit, so gewöhnlicher staatsmonopolistischer Kapitalismus. Dann wurde Vonovia etwas frech: Unmittelbar nach der Übernahmeankündigung zitierte das „Handelsblatt“ am 20. September einen Konzernsprecher: „Es soll eine Struktur geschaffen werden, die es ermöglicht, die Zahlungen einer Grunderwerbssteuer zu vermeiden.“ Die Vonovia-Aktie legte noch am selben Tag um 25 Prozent zu. Am vergangenen Donnerstag erklärte dann zuerst der „Tagesspiegel“, was das für die Finanzen des klammen Berlin bedeutet: Hunderte Millionen Euro – andere Medien sprachen von einer Milliarde Euro – Grunderwerbssteuer fallen aus. Möglich sei das durch ein „legales Steuerschlupfloch“: Vonovia hat „gegen mehr als eine Milliarde Euro Zahlung 20 Prozent seiner Anteile an der Deutschen Wohnen in ein neues Joint Venture mit dem Finanzinvestor Apollo eingebracht“. Damit sank Vonovias Anteil an Deutsche Wohnen auf 67 Prozent. Mit Komplettübernahme von Deutsche Wohnen steigt der Vonovia-Anteil deswegen nicht über 90 Prozent. Und darauf kommt es an: Wer bei Immobilienkonzernen darunter bleibt, hat angeblich keine Immobilien, sondern nur Geschäftsanteile („Share Deal“) erworben und muss keine Grunderwerbssteuer zahlen.

In der Berliner Landespolitik gab es nach dem „Tagesspiegel“-Beitrag Gratisgezeter. „Linke“-Politiker Sebastian Schlüsselburg tat sich mit „unfassbarer Betrug“ gewaltig hervor. Saleh meldete sich am Sonntag bei dpa zu Wort mit: „Die Menschen können nicht mehr. Es besorgt mich, dass so viele sich das Leben in Berlin nicht mehr leisten können.“ Er kann beruhigt sein. Die Ampel wird dafür sorgen, dass sich nichts ändert, obwohl im Koalitionsvertrag anderes steht. Saleh wird sich das Leben in Berlin weiter leisten können, hunderttausende Mieter wahrscheinlich nicht mehr. Und nebenbei: Der Kultur drohen 2025 Kürzungen in Milliardenhöhe.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Staatliche Fürsorge", UZ vom 18. Oktober 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit