Nach der Riester- kommt die Aktienrente – Profitieren werden Finanzkonzerne, nicht Rentner

Staat will an der Börse zocken

Reiner Heyse

Am 4. November 2022 legte Finanzminister Lindner ein „Grundkonzept zur Aktienrente“ vor. Es soll das Versprechen im Ampel-Koalitionsvertrag einlösen, mit der Aktienrente eine langfristige Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz zu gewährleisten. Nach dem Konzeptpapier, das weitgehend mit dem Sozialministerium abgestimmt ist, zeichnet sich ab, dass die Aktienrente nicht aus Versichertenbeiträgen finanziert wird, sondern aus Bundesmitteln. Dazu werden Schulden aufgenommen, im Jahr 2023 erstmalig zehn Milliarden Euro. Ob der Fonds danach in dieser Höhe oder höher jährlich weiter aufgestockt wird, ist unklar. Das Ziel ist dabei nicht, individuelle Rentenanwartschaften aufzubauen, sondern die Rentenversicherung „ab Mitte der 2030er Jahre“ aus den Fondserträgen zu entlasten. Die Entlastungen sollen dann einen halben Beitragsprozentpunkt ausmachen. Das geliehene Geld wird an Finanzmärkten angelegt. Damit wird der Sozialstaat zum Hedgefonds-Manager. Er muss nämlich zweierlei schaffen: Erstens die Refinanzierungskosten (Zinsen und Tilgung) stemmen und zweitens darüber hinaus noch satte Erträge für die Aktienrente einfahren. Nach vorsichtiger Rechnung müsste die Rendite mindestens 8 bis 10 Prozent betragen. Das geht nur über riskante Investments. Der Staat wird zum Zocker.

Sollte das Lindner/Heil-Konzept Gesetz werden, kann eines mit Sicherheit festgestellt werden: Die Aktienrente wird keinen Beitrag zur Finanzierung der „Babyboomer-Renten“ leisten. Das Gegenteil wird eintreten. In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der über 65- beziehungsweise 67-Jährigen – und damit annähernd auch die Kosten für die Rentnerinnen und Rentner – kontinuierlich um etwa 20 Prozent zunehmen. Grob gerechnet müssten dann, bei Erhalt des gegenwärtigen Rentenniveaus, die Rentenversicherungsbeiträge von 18,6 Prozent um rund vier Prozentpunkte steigen. Das wären nach heutigen Verhältnissen jährliche Mehrbelastungen von 68 Milliarden Euro.

Bis zum Jahr 2035 würde die Aktienrente dazu keinen Cent Entlastung bringen. Danach dann 0,5 Prozentpunkte, das heißt 8,5 Milliarden Euro pro Jahr. Die Behauptung, die Aktienrente würde „zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz“ eingeführt, ist Schaumschlägerei.

Seit über 30 Jahren wird vor einer demografischen Katastrophe und dem Zusammenbruch des Rentensystems gewarnt. Seit 30 Jahren wird von neoliberalen Ökonomen und Politikern gefordert, das Umlageverfahren durch sogenannte Kapitaldeckungsverfahren zu ersetzen. Der Versuch, mit der Riester-Rente in die Teilprivatisierung einzusteigen, hat 20 Jahre gedauert. Einer ganzen Generation wurde vorgegaukelt, sie könnte mit „Riestern“ eine sichere Altersversorgung erreichen. Nach dem Scheitern der Riester-Rente kommt nun das nächste Gauklerstück.

Sollte die Aktienrente à la Lindner tatsächlich die Mehrkosten für die geburtenstarken Jahrgänge tragen – wie es der Koalitionsvertrag ja verspricht –, müssten die Beiträge zum Aufbau des Kapitalstocks achtmal höher sein. Also 80 Milliarden Euro statt der zehn Milliarden Euro. Die ökonomischen Folgen wären verheerend. Die Blasenbildung an den Finanzmärkten würde enorm befeuert und die Nachfrageausfälle würde Rezessionen verstärken.

Die FDP bestimmt über die Rentenpolitik der Zukunft. Sozialminister Hubertus Heil von der SPD und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen folgen den Wirtschaftsliberalen bereitwillig. Noch bevor irgend etwas bezüglich Aktienrente klar war, gab Habeck Anfang Juni den Start-up-Unternehmen das Versprechen: Die kommende „Aktienrente“ werde verpflichtend in Start-up-Projekte investieren. Um Start-up-Unternehmen machen Spekulanten und Börsenzocker einen großen Bogen. Banken verweigern ihnen bisher riskante Kredite.

Die gegenwärtige Sozialpolitik blendet die erheblichen Herausforderungen der gesetzlichen Rentenversicherung in den kommenden 20 Jahren einfach aus. Mit Nebelkerzen werden Scheinlösungen suggeriert. Deren Scheitern wird zu nichts führen, außer einer Verschärfung der neoliberalen Lösungen. Weg von der solidarischen umlagefinanzierten Rente, hin zu mehr verpflichtenden Abgaben an die spekulationsgetriebenen Finanzmärkte.

Mit den Riester-Renten wurden die Profitinteressen der Versicherungskonzerne bedient, mit der Aktienrente die Finanzkonzerne wie BlackRock, Allianz und Co. Betroffen sind immerhin über 90 Prozent der Bevölkerung. Sie hätten allen Grund, sich gegen die „Aktienrente“ zu wehren.

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"Staat will an der Börse zocken", UZ vom 13. Januar 2023



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