Die Hochrechnungen aus Sachsen und Thüringen waren gerade erst veröffentlicht, da entfalteten sich die mentalen Verrenkungen der hauptberuflichen Demokratieretter und Ost-Erklärer. Schon zuvor hatten sich die Umfrageergebnisse der Ampel-Parteien und das Niveau der politischen Analysen ein Wettrennen nach unten geliefert. Am Wahlabend schafften sie es dann gemeinsam über die Ziellinie.
Die Aufgabenstellung für die Parteien des selbsternannten „demokratischen Zentrums“ und ihre journalistische Begleitung war klar: die Verschiebungen in der Parteienlandschaft erläutern, ohne über die Kriegspolitik zu sprechen. Wie das gehen kann, demonstrierten trauernde Ampel-Politiker im schönsten Einklang mit den triumphierenden Siegern von AfD und CDU in der „Berliner Runde“ des ZDF. Die wurde mit der Frage eingeleitet, ob die CDU denn bei den kommenden Koalitionsverhandlungen darüber hinwegsehen könne, dass das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) „in Teilen rechts- und in Teilen linksextrem“ sei. „Bei Frau Wagenknecht“ sei das „offenkundig der Fall“ entgegnete CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, ohne die Frage zu beantworten. Davon ab sei er „grundsätzlich sehr, sehr zufrieden“.
Hochzufrieden zeigte sich auch Bernd Baumann, der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion. Gefragt nach den mangelnden Koalitionsmöglichkeiten für seine Partei, führte er mit Blick auf die Migrationspolitik aus: „Unsere Programmatik, unsere Partei, unsere Forderungen setzen sich ja um in der Politik. Da ist es doch fast egal, welche Figuren und Parteien sich jetzt kurzfristig auf instabile Koalitionen gegen uns einigen.“ Als Beispiel nannte er die Forderungen nach Grenzschließungen aus der CDU.
Das konnte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert nicht auf sich sitzen lassen. „Im Gegensatz zu 16 Jahren mit Unions-Innenministern“ gingen unter der Ampel „die Zugangszahlen runter, steigen die Abschiebezahlen“, klinkte er sich in den Wettstreit ein. „Das lassen wir uns nicht kleinreden.“ Linnemann, bei aller Eintracht sichtlich um Abgrenzung bemüht, versuchte es noch einmal: „Die Menschen müssen wissen, was sind die Unterschiede zwischen der AfD und uns“, und wurde vom AfD-Mann Baumann unterbrochen: „Da gibt‘s keine mehr!“.
Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei. Die Migrationsfrage hatte das Thema Frieden erfolgreich verdrängt. In den Folgetagen wurde diese Stoßrichtung dann mit weiteren Dauerbrennern vermischt. Im WDR durfte beispielsweise der „DDR-Experte“ Ilko-Sascha Kowalczuk erklären, dass viele davon überrascht seien, „welche enormen Nachwirkungen die kommunistische Diktatur auch in den jüngeren Generationen bis heute im Osten hat.“ Auch in anderen Kommentaren wurde subtile Wählerbeschimpfung geübt und das BSW mit der AfD in einen Topf geworfen. In Hufeisenmanier ergingen Warnungen vor dem „Kommunismus“, dem „Faschismus“ oder beidem gleichzeitig. Einen intellektuellen Höhepunkt lieferte die „Welt“, die es fertigbrachte, die marktradikale, reaktionäre AfD und das eher sozialdemokratische BSW gleichermaßen als „kapitalismuskritische“ Parteien zu brandmarken.
Was aber den Zorn der bürgerlichen Medien und Politiker ins Unermessliche trieb, war Sahra Wagenknechts Weigerung, die Kernforderung ihres Wahlkampfes aufzugeben. Statt – wie üblich – „offen“ in Sondierungsgespräche zu gehen, und beispielsweise in der Migrationsfrage die Gemeinsamkeiten zur CDU hervorzuheben, blieb Wagenknecht am Wahlabend dabei, dass ihr Bündnis nur in Regierungen einsteigen werde, die sich gegen eine Raketenstationierung in Deutschland und für diplomatische Initiativen aussprechen. Wenn das nicht aufgeweicht wird, dürfte die Regierungsbildung in Sachsen und Thüringen schwierig werden. Noch wichtiger ist jedoch, dass damit der Finger in die Wunde gelegt ist. Aber auch dieser gelungene parlamentarische Winkelzug verpufft, wenn die Forderung nicht kraftvoll auf die Straße getragen wird – und zwar nicht nur im Osten.