Die Überwachung Rolf Gössners war rechtswidrig

Spitzel haben verloren

Eines der längsten verwaltungsgerichtlichen Verfahren nahm am 14. Dezember 2020 nach 15 Jahren mit der Niederlage des Bundesamtes für Verfassungsschutz (VS) vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig sein Ende. Seit vergangener Woche liegen nun auch die schriftlichen Urteilsgründe zu Gunsten des Bürgerrechtlers, Publizisten und Rechtsanwalts Rolf Gössner vor.

Rechtskräftig steht nun fest, dass die Beobachtung des Klägers und die Sammlung personenbezogener Daten in der Zeit vom Oktober 1970 bis November 2008 rechtswidrig war. Die beim Bundesamt geführte Personenakte von Rolf Gössner umfasste am Ende über 2.000 Seiten. Angefangen von Aufzeichnungen zu studentischen Aktivitäten im „Sozialistischen Hochschulbund“ (SHB) über die Mitarbeit in der Zeitschrift „Geheim“, die sich kritisch mit der Arbeit der Dienste auseinandersetzte, bis zu „Äußerungen und Veröffentlichungen des Klägers mit einem möglichen Bezug zu der DKP und zu dieser Partei nahestehenden Organisationen in der Zeit von 1973 bis 2008“. Gelistet wurden vom VS auch Auftritte Gössners bei Veranstaltungen der DKP, der Roten Hilfe und der VVN-BdA.

Das BVerwG teilt die Auffassung des Oberverwaltungsgerichtes Münster, wonach „der Erhalt einer Klassengesellschaft kein Verfassungsgrundsatz“ sei, die Schwelle zur Verfassungsfeindlichkeit aber stets dort überschritten werde, wo „eine mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbare sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung im klassisch marxistisch-leninistischen Sinn“ gefordert werde. Wenn es auch durchaus sein könne, dass Rolf Gössner mit Einzelforderungen der DKP konform gegangen sei, könne hieraus aber nicht zwingend auf eine aktive, objektiv messbare Förderung der Idee einer sozialistischen Umwälzung geschlossen werden. Dies sei das Ergebnis einer „Gesamtschau“ der politischen Aktivitäten des Klägers. Handfeste Kriterien liefert diese Gesamtschau nicht; trotz des mit viel Mühe und Zeit errungenen Erfolgs für Rolf Gössner hängt es daher von der politischen Großwetterlage ab, wie in Zukunft ähnliche Fälle beurteilt werden.

Das zeigt der Fall des Tübingers Gerhard Bialas, der am 21. Juli seinen 90. Geburtstag feiern wird und sich über Jahrzehnte als Kommunist in der Friedensbewegung, als Stadtrat und im Kreistag engagiert hat. Er unterliegt seit fast 70 Jahren der Überwachung durch den VS. Seine Akte wurde noch zu Adenauer-Zeiten angelegt, nachdem er im Herbst 1951 in die KPD eingetreten war. Als Gerhard Bialas im Oktober 2012 Auskunft über die zu ihm gespeicherten Daten begehrte, konnte er ausschnittweise nachlesen, was ihm als verfassungsfeindliche Aktivitäten zu Last gelegt wird: Die Teilnahme an einer „revolutionär gestalteten“ Urnenbeisetzung in Stuttgart im Februar 2007 oder ein Infostand der DKP in Tübingen am 1. Mai 2010. Die Mitteilung des Amtes schließt mit dem Hinweis, man verrate ihm nicht all das, was man gesammelt hat, da ansonsten der Zweck der Maßnahme gefährdet würde. Ein Glückwunschschreiben des Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zur Eisernen Hochzeit am 29. Mai 2019 nahmen die Eheleute Bialas zum Anlass, erneut beim Landesvater anzufragen, ob sie denn auch in Zukunft mit Überwachung rechnen müssten. Das Innenministerium antwortete mit einer Drohung: Man überdenke den Fortgang der Ausforschung erst dann, „wenn Ihre Frau und Sie innerhalb Ihrer DKP-Mitgliedschaft keine aktive Rolle mehr einnehmen“.

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"Spitzel haben verloren", UZ vom 9. April 2021



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