In ihrem neuesten, vierten Roman „Intermezzo” setzt Sally Rooney ihre Auseinandersetzung mit intimen Beziehungen fort – jedoch mit einer Abkehr von der klaren politischen Kritik, die ihre vorangegangenen Werke prägte. In diesem Roman liegt die Betonung auf bedingungsloser Liebe, die etwas Göttlichem nahekommt.
Rooneys dritter Roman „Schöne Welt, wo bist du“ endete damit, dass sich eine Figur aus dem Aktivismus zurückzog und abseits der Welt subjektiven Frieden und Stabilität fand – abhängig, so ist anzunehmen, von ausreichendem Einkommen. Diese Entscheidung hätte als ein individueller Versuch gelten können, persönliches Glück über politisches Engagement zu stellen. Mit „Intermezzo“ wird dieser Fokus auf privates Glück und die Abkehr von gesellschaftlichen Missständen jedoch nicht mehr als individuelle Entscheidung dargestellt, sondern als ein Thema, das den gesamten Roman durchzieht.
Die Handlung konzentriert sich auf zwei Brüder, Peter und Ivan Koubek, und ihre Beziehungen. Während beide Brüder Hindernisse auf dem Weg zu persönlicher Erfüllung erleben, treten die politischen Elemente, die Rooneys Figuren einst eine radikale Note verliehen, in den Hintergrund. Wo man vielleicht erwartet hätte, dass Rooneys junge Protagonisten die wirtschaftliche Unsicherheit oder die politische Heuchelei der zeitgenössischen irischen Gesellschaft infrage stellen, verblassen diese Themen zugunsten weit persönlicherer Sorgen. Soziale Unterschiede spielen zwar eine Rolle, etwa wenn es darum geht, die Miete zahlen zu können, doch die Figuren ragen nicht mehr als Herausforderung für das Establishment hervor. Der halb-slowakische Hintergrund der Koubek-Brüder bleibt kaum mehr als eine narrative Randnotiz – eine Verlegenheit für den Bruder, der sich in seinen beruflichen Kreisen anpassen möchte, ohne weitere Tiefe oder inhaltliche Reibung in der Handlung zu schaffen. Die Protagonisten (ein Anwalt, ein freiberuflicher Datenanalyst, die Leiterin eines Kulturzentrums, eine Dozentin sowie eine Studentin) bewegen sich in oder streben nach einer mittelständischen Welt, die entfernt ist von der Arbeiterklasse, die in Rooneys früheren Werken mindestens am Rande noch Raum fand.
Eine der bedeutendsten Veränderungen in „Intermezzo“ ist die Behandlung von Religion. In den vorangegangenen Romanen waren einige von Rooneys Figuren Atheisten oder Agnostiker, die die Welt von einem materialistischen Standpunkt aus sahen. In „Schöne Welt, wo bist du?“ beispielsweise verbindet sich Eileen eher untypisch mit einem gläubigen Christen und zieht sich in ein privates Glück zurück. Während dies noch als eine Charakterentscheidung betrachtet werden konnte, erklärte Rooney kürzlich in einem Interview mit der „Irish Times“: „Ich bin von einer dogmatischen Atheistin zu einer Person geworden, die großes Interesse an den intellektuellen und spirituellen Traditionen des Christentums hat. Es wäre unehrlich zu sagen, dass dieses Erbe nicht zentral für mein Denken und Schreiben sei. Es gibt etwas Christliches in meinem Werk, auch wenn ich mich nicht als eindeutig religiös beschreiben würde. Ich kämpfe immer noch mit den übernatürlichen Aspekten des Glaubens.“ Diese Aussage spiegelt einige Gespräche wider, die die Figuren in „Intermezzo“ über Gott und Religion führen. Während der Enthusiasmus variiert, wird der religiöse Glaube nicht mehr hinterfragt oder untergraben, sondern als Teil einer persönlichen Transformation und der allgemeinen Perspektive der Autorin angenommen.
Als Konsequenz bewegt sich „Intermezzo“ gefährlich nahe an der Sentimentalität, indem es komplexe menschliche Konflikte in einer glatten Hülle aus „Spiritualität“ und Liebesglück verpackt.
Als Walter Scott Briefe erhielt, in denen sich Leser darüber beschwerten, dass Ivanhoe Rebekka am Ende seines gleichnamigen Romans nicht heiratete, lehnte er ein solches Ende als historisch unhaltbar ab. Ebenso müssen zeitgenössische Romanautoren, die die Gesellschaft kritisch hinterfragen, Handlungen und Romanenden erdenken, die Leser dazu zwingen, die Konsequenzen von Klasse, gesellschaftlichen Beziehungen, sozialem Auf- und Abstieg sowie die Stellung der Figuren in alledem unerschrocken zu konfrontieren.
Rooneys frühere Protagonisten spiegelten oft eine linke Ethik wider, ihre Beziehungen die Entfremdung, die der kapitalistischen Gesellschaft innewohnt. Nun jedoch ziehen sich ihre Protagonisten in Räume außerhalb der Gesellschaft zurück. Ivan, trotz einiger sozialer und ökonomischer Einsichten, stellt sich eine solche Abgeschiedenheit mit Marianne vor und deutet damit an, dass Rooney nun privates, zurückgezogenes Glück als eine Lösung für die Entfremdung sieht, die ihre Figuren einst erlebten. Keine der im Roman dargestellten Menschen verlassen ihre Komfortzone, um ernsthaft gegen Ungerechtigkeit anzugehen.
Die Vision der Liebe als eines Ortes des Rückzugs ist dadurch von den größeren Kämpfen der realen Welt abgekoppelt. Für Leser, die Rooneys frühere Kritik an Entfremdung schätzten, mag „Intermezzo“ weniger als eine Fortsetzung ihrer politischen Ausrichtung wirken und mehr als ein Abweichen von ihr.
Dieser künstlerische Kurs scheint im Widerspruch zu Rooneys politischem Engagement zu stehen. Rooneys persönliche Überzeugungen bleiben unmissverständlich links. Sie hat mutige Positionen bezogen und genießt in Irland großen Respekt, da sie gegen Israels Politik in Palästina protestiert hat, bis hin zur Entscheidung, keine Übersetzungsrechte ins Hebräische zu vergeben. Ihre Artikel in der „Irish Times“ zeitigen ebenfalls scharfe Kritik an der westlichen Komplizenschaft beim Völkermord an den Palästinensern, wobei sie die „moralische Verkommenheit“ von Führern hervorhebt, die diesen Holocaust im Nahen Osten unterstützen. Sie hat die wankelmütige Haltung der irischen Regierung zum Boykott israelischer Waren aus den besetzten Gebieten kritisiert und deren „Augen-zu“-Einstellung gegenüber den USA verurteilt. Außerdem ist sie eine prominente Unterzeichnerin des jüngsten offenen Briefes von Künstlern, die Sanktionen gegen Israel fordern. So äußerte sich die Autorin: „Aber ich möchte auch nicht angesichts des Genozids schweigen. Die Schrecken, die sich in Gaza abspielen, erscheinen mir wie ein Wendepunkt in der Geschichte. Wie können wir zulassen, dass das passiert? Wie ist es möglich, dass wir kollektiv versagt haben, eine so flagrante und unverhüllte Kampagne des Massenmords zu stoppen? Das sind extrem ernste Fragen, vielleicht ernster, als wir bisher begriffen haben.“
Es besteht kein Zweifel, dass sie sich furchtlos für ihre Überzeugungen einsetzt. Umso überraschender ist es, dass „Intermezzo“, anstatt den sozialen Status quo in Irland herauszufordern oder infrage zu stellen, zu den Komfortzonen der Konvention zu tendieren scheint.
Sally Rooney
Intermezzo
Claassen Verlag, 496 Seiten, 24 Euro