Die gegenwärtige Etappe: der Kampf um eine multipolare Weltordnung – Teil 2

Spielräume erkennen

In Auswertung ihres 25. Parteitages wird in den Gliederungen der DKP derzeit das Referat des Parteitags diskutiert. Dabei geht es schwerpunktmäßig um den Epoche-Begriff und die genauere Bestimmung der Etappe, in die die gegenwärtigen Klassenkämpfe einzuordnen sind. Wir drucken hier Auszüge aus dem Referat Kurt Baumanns bei der DKP Kassel redaktionell überarbeitet ab. Im ersten Teil in der letzten Ausgabe ging unser Autor auf den Zusammenhang zwischen Epoche-Frage und der Einschätzung des Krieges in der Ukraine ein. Er verwies dabei auf die Fehleinschätzung der „imperialistischen Ökonomisten“.

Der „imperialistische Ökonomismus“ ignoriert die Übereinstimmung der nationalen Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation und der Sicherheitsinteressen der Bevölkerung der Krim sowie des Donbass. Auf die Gefährdung der Rechte der Menschen dort gehen die Vertreter überhaupt nicht ein. In der oben erwähnten Erklärung heißt es:

„Wir bestreiten entschieden eine Involviertheit der russischen Regierungspolitik in die antifaschistische Bewegung oder, noch mehr als das, in ein ‚pro-sowjetisches Gefühl‘. Die Russische Föderation, ein kapitalistischer Staat, ist nur formal, im Rahmen bürgerlicher Gesetze, die Erbin der Sowjetunion, während sie mit dieser weder in Basis noch im Überbau Gemeinsamkeiten hat. Während der 30 Jahre der ‚Unabhängigkeit‘ der Russischen Föderation wurde Finanz- und Monopolkapital gebildet, die Industrie, Bildung und Gesundheitsversorgung wurde systematisch zerstört; die Arbeitslosigkeit wurde erhöht und die Lücke zwischen den Reichen und den Armen ist gewachsen, Arbeiter- und demokratische Rechte und Freiheiten wurden abgeschafft.

Die Vertreter der bürgerlichen Herrschaftskreise der Russischen Föderation haben in den Volksrepubliken von Donezk und Lugansk die Macht ergriffen, die roten Feldkommandeure – die Nominierten des Volkes – wurden ermordet und die politische Aktivität der kommunistischen Organisationen verboten. Alle Ziele, die von Putin und den offiziellen Autoritäten der Russischen Föderation zur ‚Spezialoperation‘ ausgegeben wurden, wurden verfehlt. Die ‚Spezialoperation‘ ist nicht nur falsch, sondern kriminell. Das ist durch die humanitäre Katastrophe, die die ukrainische Zivibevölkerung betrifft, bewiesen.“

Die Autoren der Erklärung arbeiten mit Scheinargumenten: Niemand hat behauptet, die Russische Föderation sei ein revolutionärer Staat wie die Sowjetunion oder Teil der antifaschistischen Bewegung. Die inneren Bedingungen der Russischen Föderation sind die Folge der inneren Kräfteverhältnisse. Die Argumentation ist platt: Russland kann keine positive Rolle spielen, weil es ein kapitalistischer Staat ist. Sowohl die Etappe als auch die konkreten Bedingungen werden völlig ignoriert. Darüber hinaus wird gelogen: Arbeiter- und demokratische Rechte gibt es weit mehr als in der Ukraine mit ihren starken faschistischen Einflüssen in Regierung und Staatsapparat. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) und die Bruderparteien in den Volksrepubliken Donezk und Lugansk konnten und können legal arbeiten. Die roten Feldkommandeure wurden laut Recherchen der antifaschistischen Brigade und des Journalisten Ulrich Heyden von der Ukraine ermordet.

Weil objektive, das heißt aus der Etappe des Klassenkampfs abgeleitete Kriterien fehlen, werden sie ersetzt durch die Kritik an den Aussagen Putins zu den Zielen Russlands in der Ukraine. Methodisch ist das der Umschlagpunkt vom Ökonomismus zu Personalisierung und politischem Unsinn.

Die Sicht der KPRF

Die KPRF sieht auch ökonomisch exakter als mancher Ökonomist die Defensive Russlands: Seit dem Einstieg Russlands in die Welthandelsorganisation (WTO) 2012 war die Industrieproduktion des Landes rückläufig. Jährlich wurden etwa 400 Industriebetriebe geschlossen. Weite Teile der russischen Wirtschaft werden von ausländischen Monopolen bestimmt: 65 Prozent der Großimmobilien wurden von ausländischen Investoren übernommen. Im Jahr 2021 war an 28.400 Unternehmen ausländisches Kapital beteiligt. Aus Russland wurden jährlich 50 Milliarden US-Dollar exportiert, mehr als 90 Prozent davon von ausländischen Monopolen. Die KPRF brachte deswegen einen Gesetzentwurf zur „Deoffshorisierung der Wirtschaft“ in die Staatsduma ein. Darin fordert sie den Ausstieg aus dem IWF, der WTO, der WHO und der Weltbank: „Ausländisches Kapital muss aus dem russischen Bankensystem entfernt werden. Dies ist nicht der Fall, wenn sich die Hälfte der Anteile der systemrelevanten Banken in den Händen von Staaten befindet, die Russland gegenüber feindlich eingestellt sind. (…) Das Bankensystem sollte nach chinesischem Vorbild verstaatlicht werden, sodass nur noch die systemrelevanten Staatsbanken übrig bleiben.“

Diese ökonomische Linie entspricht der politischen Linie der KPRF: Sie versucht im Verteidigungskampf gegen die imperialistische Aggression für fortschrittliche Positionen zu mobilisieren und dafür Kämpfe zu führen. Gennadi Sjuganow, Vorsitzender des ZK der KPRF, sagte dazu:

„Der Kampf muss nicht nur gegen äußere Feinde geführt werden, sondern auch gegen die wichtigsten inneren Feinde Russlands – die Leitungskrise, die wirtschaftliche Rückständigkeit, die Massenverarmung und die eklatante soziale Spaltung. Gegen die kriminelle Gier und die räuberische Verantwortungslosigkeit der Oligarchie. Gegen die russophoben und antisowjetischen Machenschaften der ‚fünften Kolonne‘ in den Bereichen Kultur, Bildung und Propaganda. Im 20. Jahrhundert wurde dieser Kampf von der Sowjetmacht glänzend gewonnen, die in kürzester Zeit die leninsche-stalinsche Modernisierung durchführte. Sie machte Schluss mit Ausbeutung, Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus. Sie führte die rasche Industrialisierung der Wirtschaft durch. Die herausragenden friedlichen Leistungen wurden zur Grundlage unseres Sieges über Hitlers braune Pest. Es ist höchste Zeit, dass wir alle die Bedeutung dieser historischen Lektion verstehen und erkennen, dass neue Siege nur möglich sind, wenn der Kurs grundlegend in Richtung Sozialismus, Gerechtigkeit, Gleichheit und echter Verantwortung der Regierung und der Bürger für ihr Land geändert wird.“

Die objektive Grundlage dieser Strategie ist übrigens die maßgeblich von der VR China mit aufgebaute reale Alternative zu den internationalen Organisationen der Imperialisten.

Zusammenfassung

Die gegenwärtige Epoche ist die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus im Weltmaßstab. Die gegenwärtige Etappe ist die des Kampfes um eine multipolare Weltordnung. In dieser verschieben sich die Kräfteverhältnisse zwischen Imperialismus und Antiimperialismus, so dass für nationale Befreiungsbewegungen und Aufbrüche zum Sozialismus Spielräume und internationale Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die Herrschenden in den imperialistischen Staaten sind sich ihres ökonomischen und politischen Niedergangs bewusst und greifen deshalb zu militärischen Mitteln.

Unsere Aufgabe in der BRD ist die Erzwingung einer friedlichen Politik. Der 25. Parteitag stellte dazu fest, dass der Imperialismus die Kosten seiner militärischen Abenteuer auf die Arbeiterklasse und die anderen nichtmonopolistischen Schichten abwälzen will. Das führt zu einem umfassenden Angriff auf die Arbeits- und Lebensbedingungen. Hier entsteht ein Protestpotenzial, das wir gegen den deutschen Imperialismus – gegen die Monopole und ihre Regierung – mobilisieren und in die Kämpfe führen müssen. Dazu hält der Antrag „Heizung, Brot und Frieden“ fest, dass wir dort Chancen haben, wo die Arbeiterklasse Kern und Schrittmacher der demokratischen Bewegungen wird.

Die internationalen Konflikte schätzen wir nach ihren Auswirkungen auf die Kräfteverhältnisse ein. Die Unterstützung der Bevölkerung des Donbass sowie die Ausschaltung der faschistischen Kettenhunde des Imperialismus in der Ukraine bedeuten eine eindeutige Erweiterung der Spielräume.

Der chinesische 12-Punkte-Plan ist ein Anzeichen für die objektive Rolle der VR China. Die Politik der friedlichen Koexistenz schränkt die Möglichkeiten der militärischen Abenteuer des Imperialismus ein und schafft den Rahmen zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse in Richtung Fortschritt.

Im Ukraine-Krieg zeigen sich unterschiedliche Erscheinungen der gegenwärtigen Entwicklung: Die USA, das Marionetten-Regime in Kiew und die EU-Staaten führen einen imperialistischen Krieg, um die eigene Stellung in der Welt zu verteidigen. Die Einkreisung Russlands und die Vorbereitung des Krieges gegen die VR China erfordern die Einheit der NATO. Die Aufständischen des Donbass führen einen gerechten nationalen, antifaschistischen Verteidigungskrieg. Die Russische Föderation führt einen gerechten Verteidigungskrieg, wenn er auch mit einem Angriff eskalierte. Die schematisch gestellte Frage nach den Grenzen der Volksrepubliken und der Völkerrechtswidrigkeit, die im Beschluss des 24. Parteitags vorhanden beziehungsweise ungelöst war, wird sich in der weiteren Betrachtung der Etappe auflösen.

Der „imperialistische Ökonomismus“ negiert die Bedeutung von Politik und Ideologie. Er ignoriert die Etappe und damit die unmittelbaren Aufgaben aller fortschrittlichen Kräfte. Damit stellt er nur die Epochenfrage und verfällt in weltfremdes, die Arbeiter- und Friedensbewegung desorientierendes Klassenkampfgetöse. Er muss mit den Mitteln der Bildungsarbeit und der Überzeugung – im äußersten Fall auch der Organisationspolitik – bekämpft werden.

Aber so notwendig der Kampf gegen den Ökonomismus auch ist, dürfen wir doch auch nicht in dessen reines Gegenteil verfallen – einer „rein politischen“ Herangehensweise muss ebenso eine Absage erteilt werden. Die Analyse von Geopolitik und internationalen Konflikten muss systematisch im Zusammenhang mit der politischen Ökonomie und den Kräfteverhältnissen im Klassenkampf erarbeitet werden. Nur so – durch die eigene analytische und politische Sauberkeit – kann die Abweichung des „imperialistischen Ökonomismus“ sinnvoll bekämpft werden. Mit dem 25. Parteitag hat die DKP auf diesem Weg wichtige Schritte gemacht.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Spielräume erkennen", UZ vom 14. Juli 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Flagge.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit