Nach dem Terroranschlag am 14. Februar in Jammu und Kaschmir, bei dem 40 Angehörige des indischen Militärs durch eine islamistische Terrororganisation getötet worden sind, begann die größte Eskalation des Konflikts nach dem Volksaufstand von 2016. Die Medien, sowohl auf pakistanischer als auch auf indischer Seite, leisteten der Eskalation ausgezeichnete Schützenhilfe. So wurden in pakistanischen Medien die Terroristen teilweise als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet und offen Unterstützung für deren Aktivitäten gefordert. Doch auch auf indischer Seite war die Wortwahl nicht weniger kriegstreiberisch. Offen wurde nach „Rache“ geschrien und „Strafmaßnahmen“ gegen Pakistan gefordert. Dies alles begleitet von einer Darstellung von Militäroperationen als nationale Pflicht, umrahmt von reißerischen Visualisierungen. Indisches Fernsehen ist dieser Tage besonders schwer verdaulich. Falschmeldungen und Fake-News stehen dabei nicht nur bei kleineren Zeitungen, Websites und Sendestationen auf der Agenda.
Die traurigen Konsequenzen lassen nicht auf sich warten: Vor allem in Nordindien kam und kommt es immer wieder zu Ausschreitungen und Bildung von Lynchmobs, die sich gegen die Anwesenheit der vornehmlich muslimischen Kaschmiris richten. Übergriffe auf Muslime oder Personen, die den Terroranschlag augenscheinlich nicht in ausreichendem Maße verurteilten, sind an der Tagesordnung. Dieser Ausdruck eines verbreiteten Hasses auf Muslimen zieht sich durch alle Sektoren der Gesellschaft und wird gezielt geschürt.
Neben den militärischen Aktionen forciert die indische Regierung unter Ministerpräsident Modi eine „Sanktionierung“ Pakistans auf anderen Wegen. Neben der Drohung mit einer „kompletten Isolierung“ Pakistans und der Einführung eines Sonderzolls von 200 Prozent auf Importe aus Pakistan wurde zudem angekündigt, zusätzliches, zuvor ungenutztes Wasser aus den Läufen der Flüsse Ravi, Beas und Sutlej in die Bundesstaaten Pandschab und Jammu und Kaschmir umzuleiten, statt wie bisher nach Pakistan weiterfließen zu lassen. Dies ist ein Ansatz, der selbst in „liberalen“ Mittelschichten zunehmend Anklang zu finden scheint.
Die Eskalation in Kaschmir ist eine willkommene Möglichkeit für die hindunationalistische Regierung der Bharatiya-Janata-Partei ist, kurz vor den Parlamentswahlen im Mai noch einmal harte Kante zu zeigen und sich als Verteidigerin indischer Interessen gegen ein islamisches, nach Hegemonie strebendes Pakistan darzustellen. Auch die pakistanische Seite scheint ein, wenn auch weniger ausgeprägtes, Interesse an der Fortführung des Konflikts zu haben, denn beide Regierungen beziehen einen erheblichen Teil ihrer „populären Legitimität“ aus dem Schüren von Hass in der Bevölkerung gegen den jeweils anderen. Eine besorgniserregende Entwicklung einer immer autoritärer regierenden BJP, deren nationalistisches Projekt gerade erst begonnen zu haben scheint.
Dabei ist es die Bevölkerung des Bundesstaates Jammu und Kaschmir, die letztlich die Rechnung für das Spiel der Mächte begleichen muss. Neben den repressiven Maßnahmen der indischen Sicherheitskräfte, Terroranschlägen, willkürlicher Gewalt und kultureller Unterdrückung leidet sie unter einer stagnierenden ökonomischen und politischen Entwicklung sowie einem maroden Bildungs- und Gesundheitswesen. So mag ein Krieg trotz aller Spannungen im Augenblick zwar nicht im unmittelbaren Interesse der Herrschenden Indiens und Pakistans liegen, doch ein Ende des Konflikts ist weiterhin nicht absehbar.
Progressive Kräfte des Landes wie die Kommunistische Partei Indiens (Marxistisch) (CPI (M)) rufen derweil zu einem zweigleisigen Prozess zur Lösung der Krise auf. Grundlage jedes Friedensprozesses müsse es zunächst sein, die Gewalt- und Repressionsmaßnahmen des indischen Militärs inklusive des Einsatzes von Gummigeschossen und der Ausgangssperren zu stoppen. Zudem müssten unverzüglich vertrauensbildenden Maßnahmen seitens der indischen Regierung erfolgen, um der fortgeschrittenen Entfremdung der Bevölkerung Kaschmirs vom Rest des Landes entgegenzuwirken. Gleichzeitig sei ein ehrlicher, friedensorientierter Dialog mit Pakistan und allen beteiligten Parteien anzustreben. Erfolge auf dieser Ebene seien unabdingbar für eine langfristige Lösung des Konfliktes. Die Befriedung Jammu und Kaschmirs sei dabei nicht nur von lokaler Bedeutung, sondern ein wichtiger Aspekt im Kampf um den Erhalt der bürgerlichen Freiheiten und der Säkularität des indischen Staates.