Im Mai dieses Jahres erschien Mesut Bayraktars Untersuchung der Hegelschen „Philosophie des Rechts“ im PapyRossa Verlag. Der Autor ist Diplomjurist, Master of Arts, Redakteur der Zeitschrift „nous – konfrontative Literatur“ und Autor von Romanen, Dramen, Kurzgeschichten und Gedichten. Er legt hier eine Auseinandersetzung mit Hegel vor – und die ist gelungen!
Zunächst zum Aufbau: Rund 160 Seiten zählt das Buch, das mit zwei sehr klugen Zitaten von Bloch und Marx eröffnet wird, die ihrerseits den Weg andeuten. Bayraktar zeigt auf, dass Hegels Werk in den historischen Kontext von Französischer Revolution und des Versuchs ihrer Revidierung durch die europäische Reaktion einzuordnen ist. Im Jahr 1820 stehen die Zeichen auf Restauration, alles scheint wieder stillzustehen – und dann kommt Hegels Rechtsphilosophie. Sie wird zum zentralen Werk im ideologischen Kampf der Links- und Rechtshegelianer. In der Bundesrepublik dominiert die Sichtweise, Hegel habe damit eine preußische Staatsphilosophie begründet. Besonders gerne wird dafür der Satzschnipsel „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“ aus dem Zusammenhang gerissen. Preußen sei damals das Wirkliche gewesen, es existierte – also sei es auch vernünftig, so die unverständige Herleitung der Rechtshegelianer. Bayraktar setzt dagegen den Versuch, die von Hans Heinz Holz prominent hervorgehobene Gedankenlinie zwischen Leibniz, Hegel und Marx an Hegel konkret nachzuvollziehen. Dabei stützt sich der Autor einerseits auf den nichtmarxistischen und trotzdem klugen Philosophen Joachim Ritter und andererseits auf Hans Heinz Holz als die zentralen Rezeptionsquellen. Und das funktioniert gut: Hegels Rechtsphilosophie als philosophische Analyse der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft, aber nicht als Legitimation, sondern eben als Fragestellung – was sind ihre Grundlagen, wie versucht sich die bürgerliche Gesellschaft selbst zu legitimieren und kann sie ihrem Anspruch gerecht werden? Einer der Knackpunkte ist die Frage, wie der „Pöbel“ zu seinem Recht kommen soll, das die bürgerliche Gesellschaft allen garantieren muss und doch für den Pöbel um den Preis der eigenen Existenz nicht realisieren kann. Für den Pöbel gibt es kein Recht auf Arbeit. Bayraktar schreibt hierzu: „Es handelt sich – noch inhaltslos – um ein aus innersystematischen Gründen begründetes Recht zum Aufstand oder gar zur Revolution der Verelendeten, das aus Hegels Ausführungen vorscheint.“ Die Revolution hat hier allerdings – um das zu ändern, brauchte es Marx und Engels – noch den Status einer unbestimmten Negation der kapitalistischen Gesellschaft, was wiederum die Grenzen Hegels aufzeigt, für die er nichts kann, da sie historisch begründet sind.
Und auch das zeigt Bayraktar auf: Hegels Pöbel-Begrifflichkeit ist zwar in historischen Grenzen bedingt, wird allerdings ein Faden sein, den Marx später wieder in der veränderten Form der industriellen Reservearmee aufgreift. Der Pöbel als Knecht, als in doppelter Unfreiheit gefangener Stand markiert bereits bei Hegel das Spüren des Kernwiderspruchs der bürgerlichen Gesellschaft. Das ist lehrreich, bestätigt den Marxismus-Leninismus in seinem historischen Werden und zeigt auf, weshalb es sich wiederum lohnt, Hegel noch heute zu lesen – denn wo Begrenztheit sein muss, ist auch Einsicht vorhanden und eine Grundlage, auf der es sich weiterzumachen lohnt.
Abschließend bleibt zu sagen: Das Buch bewegt sich auf akademischem Niveau – es ist keine populärphilosophische Abhandlung à la Richard David Precht, was sehr begrüßenswert ist. Es bietet eine schwierige, aber dennoch lohnende Lektüre für alle, die sich mit Hegel ein bisschen intensiver befassen wollen. Es hilft (neben Lenins Hegel-Konspekten natürlich) denjenigen, die Hegel im Original lesen wollen, indem es die Denkweise und die Entschlüsselung der ewig langen Hegelsätze näherbringt. Eine lohnende Ergänzung für die philosophische Hausbibliothek in jedem Fall!
Mesut Bayraktar
Der Pöbel und die Freiheit
Eine Untersuchung zur Philosophie des Rechts von G. W. F. Hegel
PapyRossa Verlag Köln 2021,
160 Seiten, 16,– Euro