Mehr geht nicht: Breite Zustimmung, nur drei ungültige Stimmen. Auch auf dem Sonderparteitag der SPD in Berlin herrschte am Sonntag Aufbruchstimmung. Sigmar Gabriel erklärte in seiner letzten Rede als Parteivorsitzender: „Und der Aufbruch der SPD hat einen Namen: Martin Schulz! Martin: Du tust unserer Partei gut. Über 12 000 neue Mitglieder! Ein sagenhafter Sprung in den Umfragewerten! Der Trend ist endlich wieder ein Genosse! Manche sagen schon: Seit Willy Brandts Glanzzeiten hat die SPD nicht mehr eine solche Euphorie erlebt!“
Martin Schulz, der „Mann aus Würselen, … ein Mann aus einfachen Verhältnissen“ wurde auf dem Parteitag mit 100 Prozent zum neuen SPD-Vorsitzenden und zum Kanzlerkandidaten der Partei für die Bundestagswahl im Herbst gewählt. Er „hat es geschafft, Adressat einer Wechselstimmung zu werden, indem er die Agenda 2010 kritisiert und den Eindruck vermittelt, er habe mit der Regierungspolitik der SPD in der großen Koalition nichts zu tun. Die SPD sei wieder bei ihren Wurzeln, ist seine zentrale Botschaft“, so Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linkspartei, am Freitag zuvor in einem Interview mit dpa.
Die Erwartungen sind hoch. Doch die „Botschaft ist bisher nicht untersetzt“ (Wagenknecht). Und die Erwartungen weckte Schulz selbst. Bei seinen Auftritten in den letzten zweieinhalb Monaten, in seiner Bewerbungsrede auf dem Sonderparteitag. In dieser stellte er klar: „Wir wollen, dass die SPD die stärkste politische Kraft nach der Bundestagswahl wird, damit sie das Mandat bekommt, dieses Land besser und gerechter zu machen und den Menschen den Respekt entgegenzubringen, den die Menschen verdienen.
Und ich will, liebe Genossinnen und Genossen, der nächste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden.“
Mit welchem Programm? Mit welchen Forderungen? Gabriel hatte zuvor in seiner Rede der Partei geraten im Bundestagswahlkampf lieber wenig zu „versprechen – das dann aber halten“. Blieben die Forderungen des Kandidaten auch an diesem Tag deshalb weitgehend unkonkret? Eine programmatische Rede wolle er nicht halten, erklärte Schulz – schließlich soll das Wahlprogramm der SPD ja erst Ende Juni auf einem Parteitag verabschiedet werden: „Aber eines kann ich schon jetzt vorwegnehmen: Bei unserem Programm wird es um Gerechtigkeit, um Respekt und um Würde gehen. Und dabei werden wir für uns werben, für unser Programm. Ich werde mit euch gemeinsam für die SPD werben, für uns, aber nicht gegen andere kämpfen.“ Auch eine Koalitionsaussage traf er nicht.
Schulz wiederholte in seiner Rede, was er zuvor schon mehrfach verlangt hatte und lobte die SPD-Minister in der Großen Koalition. Er forderte sichere Renten, Entlastung von Familien, bessere Bildungsmöglichkeiten und mehr Chancengleichheit, gebührenfreie Bildung von der Kita bis zum Studium, Investitionen in die Infrastruktur usw. Aussagen zur Steuerpolitik – so auch zur Vermögens- und Erbschaftssteuer – blieben weitgehend, bis auf die Kritik an den Steuersenkungsplänen der Union, vage: Aber er verurteilte die Steuerflucht großer Unternehmen ins Ausland. „Wenn ich Kanzler bin, werde ich das Prinzip einführen: Das Land des Profits ist auch das Land der Steuern.“ Der Politiker kritisierte zudem, dass Manager von Unternehmen trotz Fehlleistungen Boni bekämen, und will das ändern.
Gut inszeniert
Mehr Qualifizierungsmöglichkeiten für Erwerbslose würden der „Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“ nutzen – wie auch Investitionen in die Bildung, meint Schulz. Sahra Wagenknecht hatte zuvor im dpa-Interview darauf verwiesen, dass die arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorschläge von Schulz den Kern der Agenda 2010 nicht in Frage stellen.
Sie „würden weder die Altersarmut noch den großen Niedriglohnsektor eindämmen. Dennoch machen faktisch nahezu alle Medien und sogar die Arbeitgeberverbände die Inszenierung mit. Dadurch wirkt sie überzeugend.“
Allein bei der Forderung nach gleichem „Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, für Männer und für Frauen, gleichermaßen in Ost und in West“ wurde Schulz ein wenig konkreter und kündigte – wohl auch mit Blick auf die Gewerkschaftsvertreter im Saal wie den DGB-Vorsitzenden Hoffmann oder den ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske – an: „Dafür werden wir in den nächsten sechs Monaten kämpfen, und das werden wir in diesem Lande gemeinsam mit den Gewerkschaften durchsetzen“. Aber wer nimmt ihn beim Wort?
Linke will Taten sehen
Zustimmung für Schulz gibt es vom Parteichef der Grünen Cem Özdemir. CDU-Generalsekretär Peter Tauber warf dagegen am Montag im ARD-Morgenmagazin Schulz fehlende inhaltliche Festlegungen vor und vertrat die Ansicht, dass die SPD „Show“ mache, während die Union Regierungsverantwortung wahrnehme.
Massive Kritik kommt von Vertretern der Partei „Die Linke“. Die Parteivorsitzende Katja Kipping erklärte am Montag gegenüber der „Osnabrücker Zeitung“, Schulz wisse, dass die zentralen Forderungen der Linken die Generalrevision der Agenda 2010 und die Vermögenssteuer seien. Das seien Bedingungen für ein Mitte-Links-Bündnis, die der neue SPD-Chef erfüllen müsse. Die Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Wagenknecht und Dietmar Bartsch forderten Schulz in einer Presseerklärung auf, den Worten endlich Taten folgen zu lassen und im Bundestag noch vor Ablauf der Legislaturperiode – gemeinsam mit Grünen und Linkspartei – konkrete soziale Verbesserungen durchzusetzen.