SPD versteht keinen Spaß

Christoph Hentschel im Gespräch mit Werner Rügemer

Mehr Informationen zum Verein „aktion ./. arbeitsunrecht e. V. – Initiative für Demokratie in Wirtschaft & Betrieb“ findet man unter www.aktion.arbeitsunrecht.de.

Im Papyrossa-Verlag ist von Werner Rügemer und Elmar Wigand „Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und die professionelle Bekämpfung von Gewerkschaften.“ (3. erweiterte Auflage, Köln 2017) erschienen.

Eine kämpferische Betriebsrätin bei Toys‘R‘Us in Würselen wird vom Management drangsaliert. Der Kölner Verein „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ will die Betriebsrätin Ende letzten Jahres unterstützen und lädt den damaligen SPD-Chef Martin Schulz nach Würselen, dessen Heimatwahlkreis, ein. Der echte Schulz kommt nicht, dafür der „wahre Martin Schulz“, und der SPD-Bundesvorstand erstattet Strafanzeige. Die UZ sprach mit dem Beschuldigten. Werner Rügemer ist Vorsitzender des Vereins „Aktion gegen Arbeitsunrecht“.

UZ: Der SPD-Vorstand hat gegen Sie eine Strafanzeige wegen Urkundenfälschung gestellt. Wie kommt man zu der Ehre?

Werner Rügemer

Werner Rügemer

( r-mediabase.eu)

Werner Rügemer: Wir vom Verein „Aktion gegen Arbeitsunrecht“, deren Vorsitzender ich bin, hatten im November 2017 den damaligen SPD-Parteivorsitzenden Martin Schulz eingeladen, bei einer Kundgebung zu sprechen, die wir für eine Betriebsrätin von Toys‘R‘Us organisiert hatten. Deren Filiale liegt in dem Wahlkreis von Martin Schulz in Würselen bei Aachen.

Ich habe Martin Schulz eingeladen, weil er sich damals gegen die Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt eingesetzt hatte. Er lehnte mit Hinweis auf Terminschwierigkeiten ab. Dann haben wir einen „wahren Martin Schulz“ auftreten lassen und der sagte auf der Kundgebung: Er werde dafür eintreten, dass die Hartz-Gesetze revidiert werden und die SPD sich von der Agenda 2010 verabschieden werde. Wir haben als Verein ein derartiges Antwortschreiben von Martin Schulz an „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ fingiert und ins Netz gestellt.

Gegen diesen fingierten Brief hat die Justitiarin des SPD-Parteivorstandes Ende 2017 beim Landeskriminalamt Berlin Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Wie ich jetzt erst vor ein paar Wochen durch eine Vorladung beim Polizeipräsidium Köln erfahren habe, hat das LKA ein halbes Jahr lang ermittelt und mich als möglichen „Täter“ festgestellt.

UZ: Aber das Schreiben war als Satire gekennzeichnet. Versteht die SPD keinen Spaß?

Werner Rügemer: Das Schreiben war so offensichtlich fingiert und übertrieben, dass jeder, der sich ein bisschen mit der Kandidatur von Martin Schulz und den Positionen der SPD beschäftigt hat, das als Satire erkennen konnte. Aber der SPD-Parteivorstand konnte das offensichtlich nicht als Satire erkennen. Was wir eigentlich klarmachen wollten, war, dass die SPD an einer Korrektur der Hartz-Gesetze oder der Agenda 2010 nicht interessiert ist. Es geht ja nicht nur um Hartz-IV-Zahlungen für die Arbeitslosen, es geht auch um die anderen Hartz-Gesetze, die Teilzeit, Leiharbeit, befristete Arbeit ermöglichen, ebenso um die Umgestaltung der Arbeitsagentur und der Jobcenter mit den dazugehörigen Kürzungen, Strafen und Disziplinierungen.

UZ: Es ist also aus der versprochenen Erneuerung der SPD nichts geworden?

Werner Rügemer: Die Kandidatur von Martin Schulz sollte eine, wenn auch nicht genau definierte, Erneuerung der SPD darstellen. Martin Schulz sollte diese Neuorientierung personifizieren und eine neue Botschaft an „die schwer arbeitenden Menschen“, wie er sich ausdrückte, sein. Aber das hat er ganz offensichtlich nicht durchgehalten. Sicherlich durch Widerstand innerhalb der SPD, aber auch durch die Leitmedien, die die Gegenkräfte unterstützt haben, die keine Korrektur der Agenda 2010 haben wollten.

UZ: Wie kam es dazu, dass sich neben dem LKA Berlin auch der Kölner Staatsschutz eingeschaltet hat?

Werner Rügemer: Die Strafanzeige war gegen Unbekannt erstattet worden. Mein Anwalt hat Akteneinsicht beantragt, sodass wir jetzt in die 91 Seiten lange Ermittlungsakte reinschauen konnten. Das LKA Berlin ist unter anderem auf Grundlage meiner E-Mail-Adresse und durch wiederholte Anfragen beim E-Mail-Anbieter 1&1 und durch viele weitere Ermittlungen zu der Meinung gekommen, dass der Täter Werner Rügemer heißt und in Köln wohnt. Die Staatsanwaltschaft Berlin hat deshalb die Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft Köln übermittelt mit der Aufforderung, den Fall weiter zu verfolgen. Die Staatsanwaltschaft Köln hat die Kölner Polizei beauftragt zu ermitteln. Die Staatsschutz-Abteilung hat weitere Einzelheiten über mich festgestellt und ist zu der Meinung gekommen, dass ein zweiter möglicher Täter in Frage kommt – nämlich unser Pressesprecher Elmar Wiegand.

UZ: Wie kam der „wahre Martin Schulz“ an?

Werner Rügemer: Der „wahre Martin“, gespielt von dem Kölner Mietrebellen Kalle Gerigk, hat seine Rolle bei unserer Kundgebung sehr gut gespielt. Die Mehrheit hat zwar die Fiktion mit freudigem Lachen erkannt, aber einige, vor allem ältere Teilnehmer der Kundgebung – wohl SPD-Sympathisanten – waren der Meinung, dass wirklich Herr Schulz da ist. Die freuten sich und wollten von ihm eine Unterschrift haben.

UZ: Zum Abschluss noch eine Frage zum Grund der Veranstaltung. Hat sich trotz des Fehlens des echten Martin Schulz die Situation für die Betriebsrätin verbessert?

Werner Rügemer: Die Situation der Betriebsrätin in der Toys‘R‘Us-Filiale in Würselen hat sich leider nicht verbessert. Das hat damit zu tun, dass im letzten Jahr der Gesamtkonzern mit Sitz in den USA in die Insolvenz gegangen ist. Das hatte Auswirkungen auf die Filialen in Europa und in Deutschland. Smyths-Toys aus Irland ist neuer Eigentümer und hat eine solch kämpferische Betriebsrätin, die auch im Gesamtbetriebsrat von Toys‘R‘Us Deutschland eine wichtige Rolle spielt, weiter auf dem Kieker. Vor einer Woche, am 5. Juli, hat ein weiteres der vielen Gerichtsverfahren vor dem Arbeitsgericht in Aachen stattgefunden, mit denen die Betriebsrätin aus ihrer Funktion und ihrem Beschäftigungsverhältnis gedrängt werden soll. Wegen der komplizierten rechtlichen Lage ist noch kein Urteil gefällt worden. Eine weitere Verhandlung wurde für den 8. November 2018 angesetzt. Die Betriebsrätin hat es weiter schwer, wir werden sie weiter unterstützen.

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"SPD versteht keinen Spaß", UZ vom 13. Juli 2018



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