Mit der Nominierung von Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD wird urplötzlich wieder der Ruf nach „Sozialer Gerechtigkeit“ laut, werden die Fehler der von der SPD selbst geschaffenen und zu verantwortenden Agenda 2010 beklagt. Auch die exorbitanten Managergehälter beherrschen seit Wochen die öffentliche Debatte in Deutschland.
Doch 2008 schon wollte der damalige SPD-Chef Kurt Beck „einen Schwerpunkt auf die Gerechtigkeitsdebatte“ legen. Noch früher, nämlich 2007, bezeichnete es SPD-Fraktionschef Peter Struck als „unanständig“, wenn ein Manager in einem halben Tag so viel verdient wie ein Angestellter in einem ganzen Jahr. Beides blieb folgenlos. Woher kommt denn dann diese plötzliche Neuauflage der verlogenen Sorge um „soziale Gerechtigkeit“ nach Jahren der Flexibilisierung, des Sozialabbaus und der Lohndrückerei?
Es liegt wohl unter anderem daran, dass die Menschen in der BRD sich mehr und mehr der ungerechten Verteilung des von ihnen geschaffenen gesellschaftlichen Reichtums bewusst werden. Wie eine unlängst veröffentlichte statista-Umfrage zeigt, halten drei Viertel der Deutschen die Bezahlung der Manager für zu hoch. Fast 90 Prozent halten die Begrenzung der Managergehälter nach Schweizer Vorbild in Deutschland für nötig.
Als jetzt dann noch bekannt wurde, dass die im Zusammenhang mit dem Abgas-Skandal bei VW geschasste ehemalige Ethikchefin Christine Hohmann-Dennhardt nach gerade einmal 13 Monaten „Arbeit“ eine Abfindung von zwölf Millionen Euro erhielt, sieht der neue SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz für seine SPD dringlichsten Handlungsbedarf. Schulz inszeniert sich nun als Entdecker der sozialen Frage. Und die Medien machen mit und fragen: Ist Schulz ein „Arbeiterführer“ (spiegel-online) oder ein „moderner Robin Hood“ (Handelsblatt)?
Die Schulz-SPD will dem Wähler suggerieren, der Schulz steht für die die „hart arbeitende Mitte der Gesellschaft“, die sich „an die Regeln“ hält. Martin Schulz ist der „Typ mit Gefühl“, ist der, der „die Sorgen der Menschen“ kennt. Die vorgebliche Schulz-Kritik an der Agenda 2010 und sein angeblicher Wunsch, die Managergehälter zu deckeln, soll von der Verantwortung der SPD an ihrem Anteil des Sozialabbaus der vergangenen Jahre ablenken. Und sie soll auch verhindern, dass sich die Menschen weiter von der SPD abwenden, gar gegen die gesellschaftlichen Zustände rebellieren.