Christian Weisenborns Film „Die guten Feinde“

Späte Wiedergutmachung

Von Hans-Günther Dicks

Ein Strandidyll aus den 1960er Jahren, gedreht auf Schmalfilm, grobkörnig, schwarzweiß, unscharf: zwei hochgewachsene Jungs, die unter den Augen der Eltern munter ins Wasser springen. Im Juli 2017 stehen die beiden Brüder auf der Bühne des Berliner Kinos „Filmkunst 66“ zur Premiere des Films „Die guten Feinde – Mein Vater, die Rote Kapelle und ich“, den Christian Weisenborn, der Jüngere der beiden, gedreht hat. Der Vater, der Schriftsteller und Widerstandskämpfer Günther Weisenborn, war mit 59 Mitkämpfern im Dezember 1942 wegen „Hochverrat“ zum Tode verurteilt worden, entkam aber dem Fallbeil und kämpfte gemeinsam mit seiner ebenfalls verhafteten Frau Margarete, genannt Joy, bis zu seinem Tod 1969 in der BRD für die Rehabilitierung seiner ermordeten Gesinnungsgenossen. „Die toten Freunde, Libertas und Harro Schulze-Boysen und die anderen saßen immer mit am Tisch“, erinnert sich der Regisseur heute, und sein Bruder Sebastian schildert bitter die Verfemung, unter der sie im Kalten Krieg litten: „Wir waren ja Verbrecherkinder, während die Nazis schnell wieder Ämter hatten. Die Folgen spürt man bis heute.“ Erst 2009 wurden die Urteile gegen die Rote Kapelle offiziell aufgehoben, auch Joy hat dies nicht mehr erlebt. Sie starb 2004.

„Ihr seid das Weltgericht nicht, rief Schulze-Boysen, ehe der Strick ihn würgte … Da hingen sie alle, unter der Schiene, der Hals lang gezerrt, der Kopf abgeknickt, zu erkennen waren sie nicht mehr.“

Peter Weiss, „Ästhetik des Widerstands“

Die Dialektik der Kontraste ist wohl das dramaturgische Prinzip von Weisenborns Film. Zu Bildern einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft von 1941 erinnert der Kommentar: „Einige waren ein Jahr später hingerichtet.“ Auf erste Erfolge des Dramatikers Günther Weisenborn, für die sein Sohn spannendes Archivmaterial gefunden hat, folgen Tagebuchauszüge über die Bücherverbrennung im Mai 1933, die auch seine Bücher betraf. Raffiniert stellt der Film die Sepiatöne der Archivbilder des alten Berlin gegen die Buntheit von heute, Spaziergängerinnen von damals gegen sichtlich gelangweilte Jugendliche vor der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Was wissen sie von damals? Wären die Weisenborn-Brüder auch für sie noch immer „Verbrecherkinder“? Und was wissen sie über den Oberstkriegsgerichtsrat Manfred Roeder, der als „Hitlers Bluthund“ die Todesurteile gegen die Rote Kapelle durchsetzte, sich nach Kriegsende dem US-Geheimdienst CIC andiente und als Vortragsredner das verleumderische Bild der Widerständler als Moskaus fünfte Kolonne in die Geschichtsschreibung der frühen BRD brachte? Roeder starb, trotz Anzeigen seitens seiner Opfer unbehelligt von der BRD-Justiz, als Stellvertretender Bürgermeister und wohlbestallter Pensionär 1971 im hessischen Glashütten.

Kontraste auch musikalisch. „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Auf jeden Dezember folgt wieder ein Mai“ singt und spielt Joy zur Ziehharmonika, während die Kamera uns in die Kammer des Grauens, die Hinrichtungsstätte Plötzensee, führt. Unwillkürlich denkt man an Zarah Leanders „Davon geht die Welt nicht unter“, doch Joys Lieder, die immer wieder eine leichte, fast heitere Note in den Film tragen, haben mit der Nazi-Durchhaltepropaganda der Leander nichts gemein. Kamerascheu wie sie war, hat sie sich nur mit List oder ihrer Ziehharmonika vor die Kamera locken lassen. Doch ihre Präsenz gibt dem Film etwas von der Leichtigkeit und Unbeschwertheit, ja eine Spur von historischem Optimismus, ohne die sein harter politischer Inhalt nur schwer zu ertragen wäre.

Günther Weisenborn war als Dramatiker und Theatergründer eine Größe im Kulturbetrieb der jungen BRD, als Autor von „Der lautlose Aufstand“, dem laut Wikipedia „ersten umfassenden Dokumentarbericht über den deutschen Widerstand“, wurde er zu einer Kultfigur der 1968er Studentenrevolte. Doch das Scheitern seines Kampfes gegen Roeder und die BRD-Justiz, die 1970 alle Ermittlungen gegen Roeder fallen ließ, hat er nie verwunden. In den Medien der BRD war die Rote Kapelle nur ein Thema für verleumderische Serien in der ARD (1972) oder im „Spiegel“ („ptx ruft Moskau“, 1968). Und noch vor 15 Jahren, so berichtet der Regisseur, sei er mit seinem Filmprojekt bei den Sendern „auf taube Ohren gestoßen“. Nun endlich ist es zum Kino­stoff geworden.

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"Späte Wiedergutmachung", UZ vom 4. August 2017



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