Bei zwei Veranstaltungen zum deutschen Rüstungs- und Kriegswahn platzten die Debattenzelte aus allen Nähten

Soziales und Frieden zusammenbringen

Was jetzt das Dringendste für Protest- und Friedensbewegung sei, fragte Moderatorin Martina Lennartz gegen Ende der Diskussion über „Friedensbewegung in Zeiten von NATO-Besoffenheit und Großmachtambitionen“ am Samstag Mittag die Teilnehmer auf dem Podium. Joachim Guilliard (Heidelberger Forum gegen Militarismus und Krieg) antwortete, bevor er weiter ausholte, mit einem ernsten Scherz: „Verhindern, dass eine Grüne oder ein Grüner Außenminister wird. Denn dann gibt es Krieg.“ Gelächter, Beifall und Begeisterungspfiffe im restlos überfüllten Debattenzelt, an dessen Eingängen sich ab 11 Uhr diejenigen drängten, die drinnen keinen Sitzplatz gefunden hatten.

Eröffnet hatte die Runde Reiner Braun vom International Peace Bureau mit der klaren Ansage: Sozialer Protest und Friedensbewegung müssen zusammenfinden. Entweder erreichten die Aktionen eine neue Dimension oder es entstehe „eine Republik, die wir nicht wiedererkennen werden“.

Einig waren sich alle auf dem Podium: Die Meinungsbildung in der Friedensbewegung bleibt kompliziert. Barbara Majd-Amin (GEW) machte das am DGB-Aufruf zum Antikriegstag deutlich: Erfreulich die klare Stellungnahme gegen das 2-Prozent-Aufrüstungsziel, schwach die Begründung, Soziales dürfe nicht zurückfallen. Und übel das Ausweichen vor der Frage, wie es zum Ukraine-Krieg gekommen sei. Wer das weglasse, rechtfertige indirekt die Hochrüstung.
Guilliard und Lühr Henken (Bundesausschuss Friedensratschlag) machten deutlich, welche Hindernisse aufgestellt werden: Noch immer sei der Krieg im Donbass, den die Bewohner gegen „ultranationalistische und faschistische Kräfte“ führten, kein größeres Thema, so Guilliard. Das mache gemeinsame Aktionen speziell mit den Gewerkschaften schwer.

Der DKP-Vorsitzende Patrik Köbele brachte es auf den marxistischen Punkt: „Der deutsche Imperialismus ordnet sich in die NATO-Aggression ein und nutzt die Situation, um sich freizuschwimmen.“ Daher: „Überlebensfrage ist, Soziales und Frieden zusammenzubringen.“

Die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen zeigt, welche Bedeutung „Frieden mit Russland“ hat. Das war Thema am Abend im ebenfalls völlig überfüllten Rosa-Luxemburg-Zelt bei der „Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung“ (GRH). Deren Vorsitzender Hans Bauer nannte das Thema „akut wie nie“ und fragte zunächst den russischen Germanisten Oleg Jeremenko, ob die Russen Krieg wollen. Der verwies darauf, dass die russische Militärdoktrin seit dem Mittelalter, die Sowjetunion eingeschlossen, bis heute defensiv war. Nur wenn der Krieg unvermeidlich sei, so formuliere es auch Wladimir Putin, werde er geführt. Bruno Mahlow, einst Abteilungsleiter beim ZK der SED, fügte hinzu, für die politische und militärische Führung Russlands sei der oberste Grundsatz: „Einen 22. Juni 1941 werden wir nicht noch einmal zulassen.“ Klaus Hartmann (Stellvertretender Vorsitzender des Deutscher Freidenkerverbandes) unterstützte Jeremenko, der darauf hinwies, dass die russische Jugend zu Patriotismus, aber nicht zum Hass erzogen werde, in der Ukraine sei das seit 1991 anders. Jeremenko zitierte den in westlichen Medien unterdrückten Ausspruch des ukrainischen Botschafters in Kasachstan, der kürzlich in einem Interview zum Krieg geäußert hatte: „Je mehr Russen wir jetzt töten, desto weniger werden unsere Kinder töten müssen. Das ist alles.“ Hartmann verwies darauf, dass Kiew nach jahrzehntelanger Vorbereitung 2021 antirussische Gesetze inkraft gesetzt und schon vorher jede Opposition unterdrückt habe. Das sei Ausdruck „zunehmender Faschisierung“.

Wie am Mittag griff das Publikum zumeist zustimmend rege in die Diskussion ein, trotzkistische Folklore blieb am Abend aus: Der gewohnte Singsang, die DKP müsse sofort zum bewaffneten revolutionären Kampf aufrufen, war auch nur auf gemäßigte Heiterkeit gestoßen.

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"Soziales und Frieden zusammenbringen", UZ vom 2. September 2022



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