Durch Lockdowns stieg die Zahl der Selbstmordversuche bei Kindern und Jugendlichen

Soziale Isolation

Schon früh, wenige Monate nach dem ersten Lockdown, war klar, dass Kinder und Jugendliche massiv durch die Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie betroffen sind. Nicht nur durch die zeitweisen Schulschließungen. Eine Studie der Essener Uniklinik, über die Anfang des Jahres Professor Christian Dohna-Schwake, der Leiter der Kinderintensivstation der Uniklinik, in einem Videogespräch berichtete, verweist auf die Dramatik der Situation. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht das offenbar anders. In der vorigen Woche erklärte er, die Zunahme psychischer Störungen bei Kindern sei kein Resultat des Lockdowns, sondern der Pandemie an sich.

Aus den Daten der Essener Studie, an der sich 27 Kinderintensivstationen beteiligten, ergibt sich, dass in diesen Stationen von Mitte März bis Ende Mai 2021 93 Suizidversuche bei Kindern registriert wurden. Bundesweit könnte man demnach für diesen Zeitraum – hochgerechnet auf die Anzahl der Betten auf Kinderintensivstationen – mit 450 bis 500 Fällen rechnen. Die Fallzahl der Suizidversuche sei damit im zweiten Lockdown um rund 400 Prozent im Vergleich zu der Zeit vor Corona gestiegen, so Dohna-Schwake. Die dramatische Entwicklung habe ihn „überrascht“. Aber Lockdown und Schulschließungen hätten sich im Frühjahr letzten Jahres „wie Kaugummi hingezogen“. Die damit verbundene soziale Isolation habe vor allem Kinder belastet, die schon zuvor unter Depressionen oder Angststörungen gelitten hätten.

Wie der „Spiegel“ betonte, gibt es allerdings eine Reihe von Schwachstellen in dieser Studie. Zum Beispiel fielen unter die Hochrechnung auch Intensivstationen für Säuglinge. Jugendliche, die auf Erwachsenenstationen eingewiesen wurden, fielen andererseits aus der Betrachtung heraus. Aber unabhängig davon, inwieweit die Daten dieser Studie belastbar sind: Das Problem, dass Kinder und Jugendliche besonders von den Einschränkungen in der Pandemie betroffen sind, ist schon länger bekannt. Auch aus anderen Ländern. So verwies die Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Klinikum der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Prof. Dr. Christine M. Freitag, in einem Interview in der „Frankfurter Allgemeine“ vorige Woche darauf, dass Studien aus Kanada und Australien deutlich zeigen, „dass innerhalb der Corona-Pandemie insbesondere Perioden des Lockdowns zu einem Anstieg der genannten Symptome bei Kindern und Jugendlichen führten“. Vor diesen Problemen warnen aber Fachleute auch hierzulande schon seit vielen Monaten.

So hatten Kinderpsychiater bereits im Januar 2021 – und teilweise auch schon zuvor – davor gewarnt, dass sie zwar nicht mehr junge Patienten in den Praxen sähen, Störungsbilder aber deutlicher als in den Vorjahren ausgeprägt seien. Dazu gehörten Angststörungen, Depressionen, aber auch Essstörungen. Die jungen Patientinnen und Patienten kämen vor allem aus Familien, in denen die Eltern durch die Situation selbst stark belastet seien. Damals nahm zum Beispiel im Regensburger Bezirksklinikum „nach dem ersten Lockdown die Zahl der Notfälle mit ein wenig Verspätung deutlich“ zu, wie das „ZDF“ am 28. Januar vergangenen Jahres berichtete. „Die Jugendlichen berichten, dass ihnen vor allem die Kontaktbeschränkungen zu schaffen machen. Aber auch der Druck, den ausgefallenen Unterricht nachzuholen, sei für viele Patienten ein Problem.“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Soziale Isolation", UZ vom 21. Januar 2022



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit