Die Renten steigen so stark wie seit mehr als zwanzig Jahren nicht“, lässt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die Leserinnen und Leser der FAZ wissen. Vermutlich hatte er Menschen wie Martin Winterkorn im Auge. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG und der Porsche Automobil Holding erhält nach einem Bericht der Bildzeitung seit Jahresbeginn eine Betriebsrente von täglich 3 100 Euro. Mit dem sogenannten Ruhegehalt – festgesetzt als Anteil von 70 Prozent an der letzten Grundvergütung – ist Winterkorn nicht mal Spitzenreiter unter den DAX-Bossen. Für den Chef des Daimler-Konzerns Zetsche erarbeiten die Beschäftigten eine jährliche Pensionszusage von 4,1 Mio Euro.
„Soziale Gerechtigkeit“, wäre dann ein Rentenniveau, bei dem die Rentnerinnen und Rentner dann zwar nicht 3 100 Euro pro Tag, aber doch so um die 70 Prozent ihres letzten Einkommens erhalten würden? Den prozentual gleichen Anteil des letzten Grundeinkommens könnte man ja mindestens als „Gerechtigkeit“ verstehen. Doch davon spricht niemand unter den Rentenräubern. Auch der neue Shooting Star der SPD, Martin Schulz – nicht. Innovativ im Wording trägt er die „Soziale Gerechtigkeit“ wie ein Mantra vor sich her. Was heißt das bei ihm für die Rente? Er verspricht eine Absicherung im Alter „oberhalb der Sozialhilfe“ und eine Stabilisierung des Rentenniveaus. Die ihrem „Heilsbringer“ zujubeln übersehen, dass er vornehm verschweigt, auf welchem Niveau er das Rentenniveau stabilisieren will.
Will er es stabilisieren auf dem heutigen – völlig unzureichenden – Niveau von 46,5 Prozent? Das wäre keine Korrektur der Agenda 2010, die aber verspricht Schulz. Im Jahr 2000 – also vor der Agenda 2010 – lag das Rentenniveau bei 53 Prozent. Eine Korrektur wäre folglich eine Anhebung wieder auf diesen Wert. Davon aber spricht Schulz nicht.
Nicht mal die Linie der IG Metall übernimmt er. Sie fordert über die Stabilisierung hinaus eine mittelfristige Anhebung des Rentenniveaus auf 50 Prozent. Im Unterschied zum SPD-Frontmann benennt sie konkrete Schritte: Aktuell das Rentenniveau bei 47,5 Prozent stabilisieren, den gesetzlich festgelegte Absturz auf 43 Prozent stoppen, die Renten wieder an die Lohnentwicklung ankoppeln, das Niveau der gesetzlichen Rente auf 50,5 Prozent für 2030 anpeilen und weitere konkrete Schritte sind auf ihrer Webseite nachzulesen.
Schulz erläutert auch nicht, ob seine Stabilisierung des Rentenniveaus auf Basis der gesetzlichen Rente, oder, wie Regierung und Unternehmerverbände es wünschen, unter Einbeziehung privater Rentenanteile erfolgen soll. Sein zweites Versprechen ist die Absicherung der Rente oberhalb der Sozialhilfe. Rente ist jedoch keine Fürsorge oder Almosen, sondern erworbener Anspruch. Aus der Armutsfalle führen dauerhaft nur höhere Einkommen, ein höherer Mindestlohn, ein solidarisches paritätisch finanziertes Rentensystem in einer Erwerbstätigenversicherung, wie Ver.di argumentiert. Dann könnten wir eventuell von sozialer Gerechtigkeit sprechen. Bei Schulz ist davon jedoch nichts zu hören. Wollte er es, würde er es verkünden, denn er will ja Wahlen gewinnen.
Auf das Wahlergebnis zu warten, wird keine höheren Renten bringen. Da ist es besser, das Alterseinkommen in die eigenen Hände zu nehmen und gemeinsam mit der Rentenkampagne von IG Metall, ver.di und DGB die Desinformationen von Regierung, Schulz und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zu enttarnen. Die IG Metall wies am Freitag mit ihrer gemeinsamen Aktion von Jungarbeitern und Rentnern vor der INSM-Zentrale in Berlin auf die wahren Taktgeber der organisierten Rentenräuber hin. Kaum hatte Schulz sich zaghaft geräuspert in Richtung Korrektur der Agenda 2010, finanzierte die INSM eine ganzseitige Anzeige in der FAZ mit der Warnung an Schulz vor „einer Rolle Rückwärts“. Die INSM wird von den Metallarbeitgeberverbänden gesponsert.
Die wahrscheinlich ebenso angesprochene Bundeskanzlerin gehorchte bereits zwei Tage später: Sie „zerpflückte“ auf dem Landesparteitag Mecklenburg-Vorpommern die vorgetragenen Pläne des SPD-Kanzlerkandidaten, die Agenda 2010 in Teilen zurückzudrehen.
Wir wissen, Geld ist genug da für eine „sozial gerechte“ Rente für alle. Da uns aber noch die Durchsetzungskraft fehlt, mag eine Beitragserhöhung – bei paritätischer Zahlung – wie sie die Gewerkschaften fordern, ein erster richtiger Schritt sein. Abzulehnen ist eine gesetzliche Ausweitung bzw. Veränderung der Betriebsrenten. Unverständlich, dass die IG Metall, die schon einmal die Privatisierung mit der Riesterrente forciert hat, nun wieder diesen Weg mit der Betriebsrente gehen will.
Es bleibt also nichts anderes zu tun, als die Rentenkampagnen der Gewerkschaften in die eigenen Hände zu nehmen – und zwar alt, mittelalt und jung gemeinsam.