Mutter, der Mann mit dem Wumms ist da • Kolumne von Arnold Schölzel

Sozialdemokrat soll es richten

Die SPD hat also einen Kanzlerkandidaten. Die Bürgerpresse animierte das zu lustigen Schlagzeilen wie „Ohne rot zu werden“ („Die Zeit“), „Kladderadatsch“ („Süddeutsche Zeitung“) oder „Ein bisschen Frieden – Die SPD versammelt sich hinter Olaf Scholz“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland). Schwer, keine Satire zu schreiben. Aber Humorloses gab‘s auch: Einige nahmen alles ernst und stellten sich Olaf Scholz als Kanzler vor. Beim „Spiegel“ gab‘s reichlich Speichel obendrein: „Gut … dass die SPD am Montag den Wahlkampf eingeleitet hat.“

Nach mehr als 20 Jahren gemeinsam von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU betriebener Kriege und mehr als 15 Jahren kollektiven Eindreschens auf alle, die sich nicht oder nur schlecht wehren können, der Demontage von Renten- und Gesundheitssystem, nach fast sieben Jahren regierender Einheitspartei in Gestalt einer sogenannten Großen Koalition schreibt Dirk Kurb­juweit völlig ironiefrei: „Demokratie braucht die Alternativen, die Konkurrenz der Programme und Kandidaten, und das Festival dieser Konkurrenz ist der Wahlkampf.“ Und wenn es schon so kontrafaktisch geht, kann es in Devotion vorm Kandidaten nur peinlich werden: „Persönlich besetzt er den Merkel-Platz: uncharismatischer Pragmatismus, Gelassenheit und viel Erfahrung, so effizient wie unspektakulär, und damit eine Verkörperung dieses Landes.“ Die Bundesrepublik ist da politisch ein Schrebergarten, in dem Gespräche übern Zaun nur darüber geführt werden, wer die dicksten Rüben hat. Immerhin hat Kurbjuweit am Ende noch einen Realismusanfall und nennt den bevorstehenden Bundestagswahlkampf ein „Spektakel“. Wer beim „Spiegel“ schreibt, ist Fachmann fürs Showbusiness.

In der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („FAS“) rechnet auch Kommentator Nikolas Busse mit einer „Chance für Scholz“. So verwegen sei die Kandidatur nicht, auch wenn die SPD im Umfragetief stecke. Busse rechnet vor: Holt Scholz 8 Prozent mehr, reicht es für die Koalition mit Grünen und Linkspartei. Für einen Kandidaten, „der auch im bürgerlichen Lager Sympathien wecken kann, ist das keine Herkulesaufgabe“. Scholz habe „genau das Profil, um der SPD wieder Wähler aus der Facharbeiterschaft und der akademischen Mittelschicht zuzuführen“. Busse deutet mit Letzterem zumindest an, warum Scholz vielleicht kein Hoffnungsträger für die gehobenen deutschen Stände ist, aber ihnen ein Problem besser lösen könnte als andere: Wo es sozial und politisch bröckelt, tat der moderaten Bourgeoisie stets ein Sozialdemokrat als Exekutivchef gut. Hat die Reaktion den Karren mal wieder in den Dreck gefahren, muss die SPD ihre dann national genannte Verantwortung wahrnehmen und den Laden am Laufen halten, bevor sich die Massen verabschieden. Die Kalkulationen von „Spiegel“ und „FAS“ besagen lediglich, wie tief aus Sicht des deutschen Kapitals die laufende Krise noch gehen kann.

Scholz ist wie der unverhofft auftauchende Kohlenmann im Gassenhauer. Der geht ungefähr: „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da./Junge, halt‘s Maul, ich weiß es ja./Hast du denn Jeld? Ich hab keen Jeld./Wer hat denn den Mann mit dem Koks bestellt?“ Einst kam der Mensch mit dem Heizmaterial stets unpassend, weil nie genug Geld im Arbeiterhaushalt war, heute werden Strom oder Gas einfach abgestellt. Im gegenwärtigen Berliner politischen Betrieb, in Medien oder im Frankfurter Bankenviertel ist eine andere Sorte Koks die Grundlage, auf der zum Beispiel manche Schlagzeilen und Kommentare entstehen. Scholz hat damit nicht direkt zu tun, bestellt hat ihn aber auch keiner. Das ist sein größtes Problem: Das Wahlvolk ahnt, dass es mal wieder die Zeche bezahlen soll. Das dämpft die Erwartungen. Aber seine Parteichefin Saskia Esken hat es im Gespräch mit dem führenden politischen Personalfachblatt „Bunte“ wiederholt: „Olaf hat den Kanzler-Wumms“. Damit ist die Drohung amtlich und das muss reichen.

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"Sozialdemokrat soll es richten", UZ vom 21. August 2020



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