Für Kuba war die Pandemie nicht nur eine harmlose Erkältung wie in Trumps USA oder Bolsonaros Brasilien, sondern eine ernsthafte Bedrohung. Wie bei Katastrophen durch Hurrikans hat Kuba auch hier einen seit Jahren erprobten Notfallplan parat, dessen eingeübter kaskadenartiger Ablauf immer wieder verblüfft und beste Erfolge zeitigt.
Bereits im Januar 2020 ergriff Kuba Maßnahmen und Schulungen bezüglich der zu erwarteten Pandemie auf allen Ebenen. Kubanische Spezialisten reisten nach China, um zu helfen und sich zu informieren. Schon früh wurden Arbeitsgruppen eingerichtet wegen der zu erwartenden notwendigen Labortests, neuer Therapien und der Notwendigkeit der Entwicklung von Impfstoffen. Parallel dazu wurde die Bevölkerung regelmäßig und ausführlich über alle Maßnahmen und Erkenntnisse informiert.
Ab dem 10. März wurden bereits alle einreisenden Personen getestet, darunter am 11. März drei italienische Touristen als die ersten positiven Fälle auf Kuba. Dies hatte eine Intensivierung der Aufklärung und Haus-zu-Haus-Besuche und Checks durch Ärzte und Medizinstudenten zur Folge. Am 20. März gab es dann den großen Lockdown, die Menschen mussten zu Hause bleiben, Maskenpflicht wurde angeordnet und der öffentliche Nah- und Fernverkehr eingestellt. Steuern für die privaten Geschäfte wurden ausgesetzt, ebenso der private Schuldendienst. 50 Prozent des Lohnes für die in Krankenhäuser eingelieferten Personen wurde garantiert, Haushalte mit niedrigem Einkommen erhielten eine Sozial- und Familienhilfe und bekamen auch Lebensmittel, Medizin und andere Artikel nach Hause geliefert. Am 24. März wurden die Grenzen für nicht im Land ansässige Personen geschlossen. Das war das Ende des Tourismus und der Beginn einer massiven wirtschaftlichen und finanziellen Durststrecke, verstärkt durch die immer grausamer werdende Blockade der Trump-Regierung.
All diese Schutzmaßnahmen führten dazu, dass es bis Ende Mai in Kuba nur 173 Infizierte pro eine Million Einwohner gab und keinen Todesfall beim medizinischen Personal. In Großbritannien dagegen gab es bis Ende Mai 3.900 bestätigte Fälle pro eine Million Einwohner, also gut 20 mal so viel.
Die Zahlen in Kuba
Und Kuba besetzt im internationalen Vergleich einen absoluten Spitzenplatz bei der niedrigen Zahl der Covid-19-Erkrankungen und der Todesfälle. Ende 2020 führte Kuba täglich circa 7.500 PCR-Tests durch. Ein Test kostet Kuba etwa 50 US-Dollar und belastet das Land unglaublich. Eine gewisse Entlastung erhält Kuba durch China und Russland sowie durch weltweite Spenden der Soli-Bewegung. Auf europäischer Ebene hilft mediCuba-Europa derzeit mit einem mehrjährigen Projekt zur Unterstützung der mikrobiologischen Diagnostik und einer Projektsumme von 2,5 Millionen Euro. Auch konnten akut in der Coronakrise durch eine weitere Spendenaktion Schutzkleidung, Laborkits und Beatmungsgeräte im Wert von 500.000 Euro kurzfristig geliefert sowie die nationale Eigenproduktion von Beatmungsgeräten gefördert werden.
Die Ursachen für Kubas Erfolge
Die hervorragenden Ergebnisse Kubas im Umgang mit der Corona-Pandemie basieren auf fünf charakteristischen Elementen des speziellen sozialistischen Systems in Kuba:
- Ein einheitliches, umfassendes und kostenloses öffentliches Gesundheitswesen, das Prävention vor Behandlung stellt, mit einem Netz von Familienärzten, die verantwortlich sind für die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung und die mitten unter ihren Patienten leben.
- Die biopharmazeutische Industrie Kubas, die an den Bedürfnissen der öffentlichen Gesundheit orientiert ist, die fast 70 Prozent der im Land verbrauchten Medikamente herstellt und darüber hinaus trotz der Blockade in 50 Länder exportiert.
- Die Erfahrungen Kubas auf dem Gebiet von natur- und klimabedingten Katastrophen ermöglichen es der Insel dank eines Netzes von Volksorganisationen, rasch und umfassend nationale Ressourcen zu mobilisieren, um Menschenleben zu schützen.
- Kubas Erfahrung bei der Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist über Jahrzehnte gewachsen, in denen medizinisches Fachpersonal in Länder entsandt wurde, die unter infektiösen, auf der Insel seit geraumer Zeit ausgerotteten oder neuen Krankheiten leiden. Kuba hat zehntausenden junger Menschen aus anderen Ländern auf der Insel ein kostenloses Studium ermöglicht.
- Der kubanische medizinische Internationalismus: Über 400.000 Fachkräfte aus dem Gesundheitsbereich waren bisher in 164 Ländern tätig. Als die Pandemie begann, arbeiteten etwa 28.000 Fachkräfte aus dem Gesundheitswesen in 59 Ländern. 2018 waren es noch über 50.000. Und es könnten noch deutlich mehr sein, würden hier nicht auch die Blockademaßnahmen der USA greifen, hat Kuba doch die größte Arztdichte weltweit. Bis zum 10. August 2020 waren weitere 3.700 Spezialisten aus den kubanischen Medizinischen Brigaden Henry Reeve für den Einsatz bei Epidemien und Katastrophen in 35 Länder entsandt worden, um Covid-19-Patienten zu behandeln.
Kubanische Medizin gegen Covid-19
Kuba benutzt zur Behandlung der Covid-19-Patienten 22 Medikamente. Die Mehrzahl davon wird auf der Insel selbst produziert. Das bekannteste ist wohl Heberon. Dieses Medikament ist noch effizienter, wenn man es präventiv und in den ersten Phasen der Infektion anwendet. In Wuhan (China) nahmen fast 3.000 zum medizinischen Personal gehörende Personen Heberon als vorbeugende Maßnahme ein, und niemand von ihnen infizierte sich mit dem Virus, während 50 Prozent von weiteren 3.300 Ärzten, die dieses Medikament nicht bekommen hatten, sich mit Covid-19 infizierten. Am 14. April wurde bekannt, dass man in Kuba 93,4 Prozent der Covid-19-Patienten mit Heberon behandelt habe, und nur bei 5 Prozent sei es zu schweren Verläufen gekommen. Die durchschnittliche Sterblichkeitsrate betrüge 2,7 Prozent, aber bei den mit Heberon behandelten Patienten waren es nur 0,9 Prozent.
Soberana, Kubas eigener Impfstoff
Während in den westlichen Ländern die in Sachen Covid-Impfstoff forschenden Firmen staatlich finanziell unterstützt werden, bei Erfolg aber dicke Profite machen dürfen, lief die Entwicklung eines Impfstoffes im sozialistischen Kuba ganz anders ab. Hier vereinten auf nationaler Ebene das Finlay-Impfinstitut, das Zentrum für molekulare Immunologie (CIM) – von mediCuba-Europa seit Jahren strategisch unterstützt, auch bei der Entwicklung von immunologischen Krebsmedikamenten – und die Universität von Havanna ihre Kräfte und ihr Know-how zur Entwicklung eines eigenen nationalen Impfstoffes. Im August war es dann nach einer unglaublichen Kraftanstrengung so weit. Von 200 Impfstoffkandidaten war Kubas Impfstoff einer von 30 aus 14 Ländern, die zur klinischen Prüfung zugelassen wurden. Man nannte ihn Soberana, abgeleitet von Soberanía, um die Unabhängigkeit und Souveränität Kubas auf diesem Sektor zu betonen. Und die Direktorin des Finlay-Institutes war die erste, die sich den neuen Impfstoff injizieren ließ. Auch Kuba profitierte davon, dass viele staatliche und einige private Forschungseinrichtungen weltweit ihr Wissen und ihre Ergebnisse über das Virus teilten, unter anderem auch über das Genom und den Mechanismus, wie das Virus sich in eine Körperzelle einschleusen kann. Dazu braucht es einen Schlüssel, also ein Mittel, um sich an einen speziellen Rezeptor an der Zelloberfläche anzudocken, um so in die Zelle zu gelangen. Man fand heraus, dass dieser Schlüssel bei Covid-19 wesentlich wirksamer ist als bei bisher bekannten Coronaviren. Und diesen Schlüssel nahm man beim Impfstoff als Antigen, damit der Körper gezielt Antikörper gegen diesen und das Virus bildet. Den neuen Impfstoff baute man übrigens auf der Plattform des seit 30 Jahren verwendeten und bewährten Meningokokken-Impfstoffes aus eigener Produktion auf, ähnlich wie man verschiedene Autotypen auch auf einer Plattform aufbauen kann. Die Phase eins und zwei der klinischen Prüfung liefen bis Ende November. Mit ersten Veröffentlichungen rechnet man im Januar/Februar 2021. Danach folgt Phase drei und dann hoffentlich bald der Impfstoff. Am 19. 10. 2020 wurde bekannt, dass Kuba einen zweiten Impfstoff entwickelt hat, der kurz vor der Zulassung zu klinischen Prüfungen steht: Soberana 2, ein konjugierter Impfstoff. Die bekannten konjugierten Impfstoffe induzieren nicht nur eine langdauernde Immunität, sondern verhindern auch, dass sich die Erreger im Nasen-Rachen-Raum ansiedeln.
In Anerkennung der erfolgreichen Arbeit Kubas bei der Bekämpfung von Sars-CoV-2 wurden acht renommierte kubanische Wissenschaftler und Akademiker eingeladen, der 60-köpfigen Covid-19-Beratergruppe des Gremiums der Akademien der Welt beizutreten. Darüber hinaus wird Tania Crombet Ramos vom Zentrum für Molekulare Immunologie(CIM) am internationalen Expertengremium zur weltweiten Bekämpfung von Covid-19 teilnehmen, das nur aus 20 Mitgliedern der Akademien bestehen wird.
Fazit
Die durch das neue Coronavirus ausgelöste Pandemie hat die Dogmen neoliberaler Politik schwer erschüttert: Die Privatisierungen von Gemeingut und das Schrumpfen des öffentlichen Sektors, gerade auch des Gesundheitssektors, die Deregulierungen, der zunehmende Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge und Teilhabemöglichkeit seiner Bürger und die Überlassung dieses Sektors dem großen Geld. Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, auch zwischen armen und reichen Staaten, die bewundernswerte technologische Fortschritte machen, aber nicht in der Lage sind, weder ihre Bürger noch die Menschheit vor einem einfachen Virus zu schützen.
Ganz anders Kuba: Hier garantiert der Staat seinen Bürgern trotz der Krise den kostenlosen und umfassenden Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Bildung, kümmert sich in hohem Maße um ein bezahlbares Verkehrssystem, Wohnraum, um Umweltfragen, sauberes Trinkwasser und Ernährung. Und er führt eine ständige Debatte über ethische Prinzipien, die man bei uns vermisst.
Die Tatsache, dass eine kleine Nation, die über Jahrhunderte dem Kolonialismus ausgesetzt war und seit der Revolution sechs Jahrzehnte der kriminellen Blockade seitens der USA so eine beispielhafte Rolle einnehmen kann, ist dem sozialistischen System in Kuba zuzuschreiben. Die zentrale Planung verteilt die nationalen Ressourcen nach einer Entwicklungsstrategie, die das Wohlergehen der Menschen und die gesellschaftliche Teilhabe priorisiert und nicht den privaten Profit.
Und das ist das, was Kuba für mich, für viele von uns ausmacht, was uns berührt und was wir für bewahrens- und unterstützenswert halten. Und diese Gefahr des guten Beispiels ist das, was von den kapitalistischen Staaten, vorneweg die USA, bis aufs Blut bekämpft wird, ist es doch ein ernstzunehmender, da humanistischer Gegenentwurf zu ihrer und unserer Ellbogengesellschaft, zu ihrem und unserem Raubtierkapitalismus, in der die Freiheit des Starken erste Priorität hat und nicht die Menschenrechte und die Bedürfnisse der Mehrheit.
Diesen Artikel des Arztes Klaus Piel, Vorsitzender der Humanitären Cuba Hilfe (HCH) und im Vorstand von mediCuba-Europa, veröffentlichen wir als Vorabdruck der neuen Ausgabe der Cuba Libre. Die Zeitschrift der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba erscheint vier mal im Jahr. Der Kampf gegen die Verschärfung der Blockade der USA gegen Kuba steht im Mittelpunkt des Heftes. Neben Berichten zum Start der „Unblock Cuba“-Kampagne in Deutschland wird eine Petition von Künstlern und Wissenschaftlern vorgestellt. Ein Interview bringt den Kampf in Britannien näher. Ein Interview zu den Auswirkungen der Blockade, gerade auch in Pandemiezeiten, rundet das Bild ab.
Nicht fehlen darf ein Blick auf die Wirtschaftsreformen, die Kuba seit Beginn des Jahres umsetzt. Ziel ist die Abschaffung des doppelten Währungssystems und damit die Stärkung des Sozialismus. Ein weiterer Artikel befasst sich mit der Stärkung des privaten Sektors im Zusammenhang mit den Reformen. Diese hat nichts mit Privatisierungen zu tun, die Kuba von seinen falschen bürgerlichen Freunden empfohlen werden.
Weiter erfahren die Leserinnen und Leser etwas über den deutsch-kubanischen Kulturaustausch und die Solidaritätsarbeit.