Sorgen einer Minderheit

Beate Landefeld über den Vorstoß des CDU-Wirtschaftsrats

Beate Landefeld

Beate Landefeld

Der CDU-Wirtschaftsrat ist nicht irgendwer. Die in ihm zusammengeschlossenen rund 11 000 Unternehmer sind der organisierte Kern des Wirtschaftsflügels der politischen Hauptpartei des deutschen Monopolkapitals. Den vom Wirtschaftrat jährlich ausgerichteten Wirtschaftstag der Union nannte das Handelsblatt einmal die „Jahreshauptversammlung der deutschen Wirtschaft“. Die Führungsgremien des Wirtschaftsrats sind mit Vertretern des Monopolkapitals besetzt. Werner M. Bahlsen, einer der 500 reichsten Deutschen, steht an der Spitze. Die Frage „Was macht der Wirtschaftsrat?“ beantwortet die Homepage des Zusammenschlusses wie folgt: „Die Führungskräfte der Wirtschaft sind zahlenmäßig immer eine Minderheit. Um ihre berechtigten Anliegen dennoch durchsetzen zu können, müssen sie über bessere Informationen, eine bessere Organisation und bessere Argumente verfügen als andere.“ Das allerbeste Argument dürfte dabei die ökonomische Macht der „Führungskräfte“ sein.

Am gleichen Tag als die Medien nach Bellevue schauten, wo Präsident Steinmeier die Spitzen von CDU, CSU und SPD empfing, um ihnen ihre „Verantwortung für das Staatswohl“ klarzumachen, empfahl das Präsidium des CDU-Wirtschaftsrats einstimmig, „die Option einer Minderheitsregierung unter der Führung von Angela Merkel ernsthaft zu prüfen und nicht vorschnell erneut in eine ‚große‘ Koalition zu gehen“. Für seine Empfehlung hat der Wirtschaftsrat Argumente: „Eine ‚große‘ Koalition wird nach allem, was wir von den Sozialdemokraten hören, nur um den Preis weiterer unbezahlbarer Leistungsversprechen in der Sozialpolitik zu bekommen sein.“ Dieses Geld werde stattdessen für Bildung und Innovation gebraucht.

Das „Staatswohl“ definiert der CDU-Wirtschaftsrat nicht als vermeintliche Regierungsstabilität durch die sichere Mehrheit einer GroKo. Vielmehr könne gerade der Zwang der Regierung, immer wieder um Mehrheiten zu ringen, „erheblich zur Überwindung der Politikverdrossenheit in Deutschland beitragen und die parlamentarische Demokratie stärken“. Demgegenüber würde eine weitere große Koalition, so der Wirtschaftsrat, die Volksparteien CDU/CSU und SPD weiter schwächen, deren Wähleranteil schon jetzt zusammen nur noch bei gut 50 Prozent liege. Der CDU drohe sogar die Gefahr, bei der nächsten Wahl unter 30 Prozent abzurutschen. „Den Nutzen hätten die Ränder rechts und links.“ Eine solche „parteipolitische Polarisierung und Spaltung“ widerspreche „den grundlegenden staatspolitischen Interessen unseres Landes“. So argumentierte bis vor Kurzem auch Martin Schulz.

Ist der Vorstoß des CDU-Wirtschaftsrats ernst gemeint oder nur als Druckmittel gedacht, um der SPD zu signalisieren, sie sei entbehrlich und möge ihre Wünsche herunterschrauben? Martin Schulz jedenfalls hat die Steilvorlage von ungewohnter Seite nicht genutzt, um seine bisher geäußerten Argumente gegen die GroKo zu stützen. Er forderte „mehr Zeit“ für das Nachdenken der SPD. Die CDU-Spitzen schwiegen zur Erklärung ihres Wirtschaftsrats, zumindest öffentlich. Volker Kauder empfahl, der SPD „Zeit“ zu geben. Bürgerliche Medien wussten von Signalen des französischen Präsidenten Macron und des griechischen Ministerpräsidenten Tsipras an Martin Schulz zu berichten. Es sei darum gegangen, wie die SPD in der Bundesregierung „europäische Reformen“ anstoßen könne. Offenbar wird die EU-Karte gespielt, um Widerstände gegen die große Koalition innerhalb der SPD zu brechen.

Angela Merkel fährt wie gewohnt „auf Sicht“. SPD-Abgeordnete wollen statt Neuwahlen ihren Parlamentssitz halten. Sollte der CDU-Wirtschaftsrat also ernsthaft gegen eine GroKo-Neuauflage sein, weil er sich um die langfristige Bindekraft der bürgerlich-parlamentarischen Ordnung sorgt, dann hat er derzeit zu wenig Zuhörer.

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"Sorgen einer Minderheit", UZ vom 8. Dezember 2017



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