100 Tage vor der Bundestagswahl startete der Handelsverband Deutschland (HDE) eine Provokation aller Beschäftigten im Einzelhandel: Er forderte „die Politik“ auf, zu ermöglichen, dass die Einzelhändler für den Rest des Jahres an allen Sonntagen öffnen können. Grundsätzlich soll sie zukünftig die Voraussetzungen für mehr Sonntagsöffnungen im Einzelhandel schaffen. Es brauche eine „Enttabuisierung des Themas“, meinen die Handelsbosse. „Einkaufen sei genauso Teil der Freizeitgestaltung wie der Restaurant- oder Museumsbesuch.“
Die Gewerkschaft ver.di bewertet zu Recht diese erneute Offensive des HDE für die Ausweitung der Sonntagsarbeit im Handel als einen Generalangriff auf die Handelsbeschäftigten und ihre Familien, aber auch auf das Grundgesetz. Bereits in der Vergangenheit hat die Gewerkschaft gegen rechtswidrige verkaufsoffene Sonntage erfolgreich geklagt und sieht das Recht auf ihrer Seite.
Die EU soll nach dem Willen der Handelsbosse Maßstab für sinkende soziale Standards der arbeitenden Menschen sein: In keinem anderen EU-Staat sei die Sonntagsöffnung derart beschränkt wie in Deutschland, argumentieren sie.
Der HDE wirft jedoch Nebelkerzen, wenn er meint, die Innenstädte und Läden durch verkaufsoffene Sonntage beleben zu können. Dem steht nicht nur vielerorts eine völlig verfehlte Stadtplanung entgegen, die bereits vor der Pandemie für Leerstände in den Innenstädten gesorgt hat.
Die Kaufkraft der potentiellen Kunden steigt nicht durch eine Ausweitung der Öffnungszeiten und Sonntagskäufe verschieben lediglich die Umsätze. Kaufkraft steigern könnten die Unternehmen im Einzelhandel hingegen schon: Ein beachtlicher Teil der Beschäftigten bewegt sich dort in prekären Arbeitsverhältnissen, häufig ohne Tarifvertrag im Niedriglohnsektor. Die Entgrenzung der Arbeitszeiten sehen die Bosse hingegen nicht als Problem an. Zeit für Kinder und Familie? Das ist das private Problem der Beschäftigten. Systemrelevant sind ja schließlich die Profite.