Tüten packen,
Hilfe organisieren
Matthias S. hat sich daran beteiligt, am vergangenen Samstag am Frankfurter Hauptbahnhof Solidarität mit Flüchtlingen zu organisieren.
UZ: Du bist an der Organisation dieser Aktion beteiligt.
Matthias S.: Ja, ich bin da so reingerutscht. Ich habe vorhin gesehen, dass hier Mega-Chaos ist bei der Organisation der Hilfe, und dann habe ich mit anderen versucht, das wieder geradezuziehen.
UZ: Wo bist du sonst aktiv?
Matthias S.: Gar nicht. Ich bin Muslim. Wir haben uns vor ein paar Tagen zusammengetan und wollten eigentlich für die Zukunft planen, die Unterstützung der Flüchtlinge. Dann kam heute morgen ein Notruf, dass heute viele Flüchtlinge hier ankommen würden, und wir haben über whatsapp und facebook einfach aufgerufen. Dann haben sich Leute bereiterklärt, haben einen Transporter gemietet, sind zum Großmarkt gefahren und haben Wasser gekauft. Und das ist jetzt draus geworden.
UZ: Was passiert hier gerade?
Matthias S.: Wir warten auf Flüchtlinge. Wir haben keine Information, wann die kommen. Wir wissen nicht, wie viele kommen. Wir haben mit der Bundespolizei gesprochen, und die kann uns keine Information geben. Wir alle richten uns nach den Medien. Der hessische Rundfunk hat heute Mittag gemeldet, dass bis zu 800 Leute hier ankommen werden. Jetzt gibt es Gerüchte, dass vor anderthalb Stunden in München ein Zug durchgefahren ist, das hieße, dass die Leute um zwölf oder um eins hier ankommen. Vielleicht werden sie aber auch zum Flughafen umgeleitet. Wir wissen nichts.
UZ: Ihr habt Spenden gesammelt – Lebensmittel, Getränke, Kleidung, Spielsachen.
Matthias S.: Zuerst stellen wir Getränke und Lebensmittel bereit. Kleidung und so etwas, das läuft über die Kleiderkammern. Das wird dann die zweite, dritte Hilfe sein, wenn die Leute in den Unterkünften sind. Erstmal wollen wir hier den Leuten was zu essen und zu trinken anbieten. Wir haben Ärzte da und Sanitäter, wir haben Dolmetscher da, die die Leute in Empfang nehmen und sie mit Salam aleikum begrüßen, in ihrer Sprache.
UZ: Werden die Flüchtlinge denn hier am Bahnhof viel Zeit haben?
Matthias S.: Nein. Die werden hier durchgeschleust, ich denke mal, dass die Bundespolizei die dann direkt in die Busse begleitet. Wir hoffen, dass sie dann hier etwas zu essen und zu trinken mitnehmen können. Wir wollen hier einfach Solidarität zeigen und sagen, dass sie herzlich willkommen sind. Das sind neue Mitbürger, und wir wollen nicht, dass sie mit Angst hier ankommen.
UZ: Hier sind viele freiwillige Helfer dabei. Was machen diese Helfer jetzt?
Matthias S.: Erstmal Tüten mit Verpflegung packen – ein Apfel, eine Flasche Wasser und so. Wir warten jetzt auf den Zug, und wenn der nicht kommt, ist die Frage: Wohin mit dem Essen?
UZ: Was sind das für Leute, die hier helfen?
Matthias S.: Das sind verschiedene Organisationen. Manche Gruppen haben sich erst vor ein paar Tagen gebildet. Es sind viele muslimische, islamische Organisationen dabei, Kindertränen e. V. zum Beispiel. Wir haben von der Moschee eine kleine Taskforce gegründet, und das ist jetzt daraus geworden.
UZ: Ihr braucht hier Platz, um die Sachspenden zu sortieren, es gibt Gedränge – wie reagieren die Passanten?
Matthias S.: Sehr positiv. Auf jeden Fall zeigen die Menschen Solidarität. Hier kommen Reisende vorbei, die sehen das, die haben Tränen in den Augen. Manche versuchen uns zu umarmen, aber wir haben leider keine Zeit dafür.
Interview: Olaf Matthes
In der Nacht von Samstag auf Sonntag, in einer der fast leeren Hallen des Frankfurter Flughafens, spielen ein afghanisches Kind von vielleicht drei Jahren und eine junge deutsche Frau mit einem Spielzeugauto. Die Eltern des Kindes warten auf einen Nachzügler. Seit 70 Tagen sind sie unterwegs, im Schiff übers Mittelmeer, über Ungarn, zuletzt in einem Zug von München zum Frankfurter Hauptbahnhof.
Dort sind sie, zusammen mit rund siebzig anderen Flüchtlingen, von einigen hundert Frankfurtern empfangen worden. In einem Spalier gehen sie von einem Bahnsteig zum anderen, die Leute haben Luftballons an Kordel gebunden, manche halten Blumen in den Händen, sie klatschen und machen deutlich, dass die Flüchtlinge in diesem Land willkommen sind, wenn es nach ihnen geht. Helfer verteilen Essen und Mineralwasser, freiwillige Dolmetscher begrüßen die Ankommenden, Journalisten mit Kameras drängeln um ein Foto. Einige, vorwiegend jüngere Männer, trennen sich gleich von der Gruppe der Flüchtlinge, sie sind noch nicht von der deutschen Polizei registriert worden und setzen ihren Weg allein fort. Die afghanische Familie geht durch das Spalier bis zu der bereitstehenden S-Bahn, die sie zum Flughafen bringen wird.
Tüten packen, Ketten bilden
Die Unterstützer, die die Durchreisenden begrüßen, warten oft seit dem frühen Abend, jetzt ist es zwölf Uhr nachts. Am Mittag hatte es die ersten Gerüchte gegeben, dass eine größere Gruppe der Flüchtlinge, die in den letzten Tagen aus Ungarn über Österreich nach Deutschland gekommen waren, am Hauptbahnhof ankommen würde. Über Facebook verbreitete sich der Aufruf, Spenden zu sammeln. Kartons mit Äpfeln und Sixpacks Mineralwasser, Kleidung, Windeln, Spielsachen werden in der Bahnhofshalle gesammelt, sortiert, verpackt. In der Mitte der Halle liegen die schon gepackten Tüten mit dem dringendsten Bedarf für jeweils eine Person, die Helfer haben eine Kette darum gebildet, ab und zu versuchen Bahnmitarbeiter, einen Durchgang freizumachen. Hier ein Pappschild „Willkommen in Frankfurt“, dort ein Pappschild „Dolmetscher hierher“, ein Transparent „Refugees Welcome“ und ein Hinweis, die gesammelten Spenden nicht auf dem Bahnsteig zu lagern. Eine deutsche Obdachlose nimmt eines der gespendeten Kuscheltiere, eine Bahnmitarbeiterin sorgt für Ordnung: „Das ist nicht deins, lass‘ das liegen!“
Kopftuch und Turnbeutel
Viele der Gesichter hier sind auf jeder linken Demo zu sehen, einige sind Mitglieder von DKP und SDAJ. Manche der Helfer tragen bedruckte Warnwesten der muslimischen Hilfsorganisation „Kindertränen e. V.“ – hier Blockupy-Turnbeutel, dort Kopftuch, Antifa-Logo neben langen Bärten. Ein großer Teil derjenigen, die Spenden bringen, haben weder mit dem Islam noch mit linker Politik viel zu tun.
an Kordel gebunden und machen deutlich,
dass die Flüchtlinge in diesem Land willkommen sind,
wenn es nach ihnen geht.“
Die VVN-BdA ist mit Transparenten gekommen, mit denen sie die Flüchtlinge willkommen heißt. „Ich bin nur dreimal dumm angemacht worden“, sagt der Kollege, der eines der Transparente hält, „eine Dame hat mir gesagt: ‚Dann nehmen Sie aber auch einen von denen mit nach Hause.‘“ Die meisten freuen sich über das Transparent und machen Fotos. Gekommen sind auch Mitglieder der FDP, mit einem Plakat „Refugees welcome – Frankfurt gewinnt.“ Einige Linke unter den Unterstützern erinnern sich daran, dass die FDP einmal im Bundestag vertreten und an der Regierung beteiligt war und dass diese Partei genauso wie CDU, SPD und Grüne am Aufbau der Festung Europa und an einer Großmachtpolitik beteiligt war, deren Folgen Menschen auf der ganzen Welt zur Flucht zwingen. Nach einem kurzen Geschrei verdeckt ein anderes Transparent die FDP-Werbung.
Wir bilden Ketten, um die gesammelten Spenden durch die Bahnhofshalle zu transportieren, wo sie hin sollen, ist noch nicht klar. An den Bahnsteig von Gleis 13, wird gesagt, eine neue Kette, einige der gerade erst gepackten Tüten reißen, die Organisation funktioniert nicht gut, aber sie funktioniert.
Nicht zuständig
Irgendwann wird klar, dass an diesem Abend keine größere Gruppe von Flüchtlingen mehr am Bahnhof ankommen wird. Schon vorher haben einige Helfer begonnen, die Taxifahrer vor dem Bahnhof um Hilfe zu bitten. Einige haben sich bereit erklärt, eine kostenlose Fahrt zur Flüchtlingsunterkunft im nahe gelegenen Neu-Isenburg zu machen, um die gesammelten Sachen dorthin zu bringen. Dort wird am Ende auch der Rest der Spenden hintransportiert werden – aber erst nach einem Umweg über den Frankfurter Flughafen, nachdem freiwillige Helfer einen LKW organisiert und bis sieben Uhr morgens am Flughafen ausgehalten haben werden.
Die Bahn stellt einen S-Bahn-Sonderzug bereit, der die inzwischen angekommene Gruppe der siebzig Flüchtlinge und die Spenden zum Flughafen bringen soll. Was sie dort sollen, ist nicht klar, die Unterstützer sind noch zu wenig organisiert, um die Hilfe besser zu koordinieren, die wenigen Polizeibeamten sind nicht zuständig. Wieder bilden wir Ketten und beladen die S-Bahn. Als absehbar ist, dass wir nicht mehr lange die Bahnhofshalle blockieren werden, lässt die Bahn den Helferinnen und Helfern über Lautsprecher ihren Dank ausrichten. Gegen halb eins fährt der Zug mit Flüchtlingen, Spenden und Unterstützern los zum Flughafen, und die Zuganzeige an Gleis 13 bringt die Zustände auf den Punkt, zu denen das Nichtstun der Behörden und die manchmal noch hilflose freiwillige Hilfe führen: „Sonderzug für Hilfsgüter“, steht dort.
Nicht nach Dresden
Am Flughafen bilden wir Ketten, um die Spenden auszuladen, die S-Bahn fährt ins Depot. Ein paar Polizisten haben ein Flatterband gespannt, die Versorgung der Flüchtlinge übernehmen Freiwillige. Für die Flüchtlinge steht die Frage, wie es
dass Dresden kein gutes Ziel für ihn ist.“
weitergeht: Wo wollen sie hin? In die überfüllte Unterkunft nach Gießen? Weiter zu Verwandten, irgendwo in Europa? Wie kommen sie dorthin? Die Helfer versuchen zu klären, woher die Leute kommen, wohin sie wollen, ob sie verletzt sind. Die Füße eines Mannes sind geschwollen, eine Frau hat Bauchkrämpfe, sie können nicht weiter, die Helfer organisieren medizinische Versorgung, soweit das möglich ist. Die Flüchtlinge, die Verwandte in Deutschland haben, sind besser informiert als die anderen. Sie wissen, ob sie sich von der deutschen Polizei registrieren lassen sollten. Einer hat einen Cousin in Dresden und weiß, dass das gerade kein gutes Ziel für einen Flüchtling ist. Für die anderen versuchen die freiwilligen Dolmetscher Tipps zu geben und Hilfe zu vermitteln.
Nächste Schritte
Die afghanische Familie, deren Kind ein Spielzeugauto von den gesammelten Spenden bekommen hat, will zu Verwandten nach Schweden. Das heißt: Sie wollen sich nicht von der deutschen Polizei registrieren lassen, um dort Asyl beantragen zu können. Um zwei Uhr begleiten wir sie zum Nachtbus, um wieder zurück in die Stadt zu fahren. Die junge Frau, die für die Familie übersetzt, gibt neben dem Studium Integrationskurse. Sie sagt, dass die Familie über Hamburg fahren will, wir suchen eine Verbindung mit dem Fernbus am folgenden Morgen heraus, das Geld für das Ticket für die vier Personen mit Kind ist im Nachtbus schnell gesammelt. Die Übersetzerin hat Verwandte in Hamburg, die sie bittet, die Familie in Empfang zu nehmen. Wir hören später, dass diese fünf Menschen die nächste Etappe ihrer Flucht gut überstanden haben, für den folgenden Mittwoch haben die unterschiedlichen Gruppen, die an der Hilfe für Flüchtlinge arbeiten, ein großes Treffen vereinbart, um die Solidarität zu koordinieren, und am Frankfurter Bahnhof kommen immer neue Gruppen von Flüchtlingen an.