Solidaritätsschreiben des Deutschen Freidenker-Verbands

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Der Deutsche Freidenker-Verband als seit 1881 bestehende parteiunabhängige Weltanschauungsgemeinschaft und Kulturorganisation der sozialistischen Arbeiterbewegung sieht im Kandidaturverbot für Kommunisten in Deutschland eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte.

In Artikel 1 des UN-Zivilpaktes heißt es nämlich: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung.“ Artikel 25 garantiert allen Staatsbürgern das Recht, „bei echten, wiederkehrenden, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen, bei denen die freie Äußerung des Wählerwillens gewährleistet ist, zu wählen und gewählt zu werden.“ Dies gilt unmittelbar auch in Deutschland, denn Art. 25 Grundgesetz bestimmt: „Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.“

Das vom Bundeswahlausschuss verfügte Kandidaturverbot verstößt damit in eklatanter Weise gegen das Grundgesetz und das Internationale Recht, an das die Bundesrepublik Deutschland gebunden ist.

Die vom Bundeswahlleiter als Begründung angeführte Behauptung, die DKP hätte aufgrund nicht bzw. verspätet eingereichter Rechenschaftsberichte ihren Parteistatus verwirkt, ist eine unhaltbare und abenteuerliche Konstruktion, die nur als Rechtsbeugung gewertet werden kann. Die durch das neue Parteiengesetz von 2015 eingeführten Fristen gelten nach § 39 dieses Gesetzes ausdrücklich erst für Rechenschaftsberichte ab 2016, womit die DKP zumindest ihre Berichte für 2014 und 2015 in Übereinstimmung mit der Rechtslage abgegeben hat. Nur nach sechsjährigem Versäumnis in Folge wäre ein Entzug des Parteienstatus nach diesem Gesetz möglich, aber dieser Tatbestand ist nicht gegeben. Wenn der Bundeswahlleiter und sein Ausschuss jedoch im Widerspruch zum eindeutigen und für jedermann nachlesbaren Gesetzestext entscheidet, wirft dieser Akt der Rechtsbeugung die Frage auf, ob hier in „höherem“ politischen Auftrag gehandelt wurde.

Der Deutsche Freidenker-Verband betrachtet den Protest gegen diese politische Willkür als Bürgerpflicht aller demokratisch und rechtlich gesinnten Menschen, und zwar unabhängig davon, ob sie die Positionen und Ziele der DKP teilen. Wir erinnern an die Worte von Pastor Niemöller: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Verfolgung der Linken: Tradition in Deutschland

Wir nehmen das Recht des Protests auch deshalb in Anspruch, weil wir als Freidenker die Verfolgungsgeschichte im deutschen Faschismus mit Gewerkschaftern, Sozialdemokraten, Kommunisten, parteilosen Linken und anderen Demokraten teilen.

Nach dem „Reichstagsbrand“ wurden führende Freidenkerfunktionäre verhaftet, im März 1933 stürmte die SA das Berliner Freidenkerhaus, das Vermögen wurde geraubt und unter „Treuhand“ der SA gestellt, die Tätigkeit des Verbandes wurde verboten. Der Verbandsvorsitzende Max Sievers, Sozialdemokrat, der mit Publikationen vom Ausland her Widerstand gegen das Nazi-Regime leistete, wurde1943 in Frankreich verhaftet, am 17. 11. 1943 vom „Volksgerichtshof“ unter Vorsitz von Roland Freisler des „Verrats am deutschen Volke“ bezichtigt und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat mit Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt. Am 17. 1. 1944 wurde er von den Faschisten im Zuchthaus Brandenburg-Görden mit dem Fallbeil ermordet.

Blutrichter Freisler verantwortete mehr als 2.600 Todesurteile, doch seine Witwe erhielt neben der Witwenrente ab 1974 einen „Berufsschadensausgleich“, da Freisler „wenn er den Krieg überlebt hätte, als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes ein höheres Einkommen erzielt hätte.“ So zynisch die Begründung klingen mag, so symptomatisch ist sie für den Umgang Westdeutschlands und der BRD mit den Funktionären und Schergen des Nazi-Regimes. Keiner der rund 570 Richter und Staatsanwälte des „Volksgerichtshofs“ wurde in der BRD verurteilt, Dutzende setzten ihre Karriere im Justizdienst fort. In vielen Fällen urteilten sie wieder über dieselben Angeklagten, die in der BRD wie zuvor unter den Faschisten als Staatsfeinde galten. Zwischen 1951 und 1968 ergingen fast siebenmal so viele Urteile gegen Kommunisten wie gegen NS-Täter. Erst 1998 wurden die Terrorurteile des „Volksgerichtshofs“ und anderer NS-Sondergerichte rechtskräftig aufgehoben.
Verfassungswidriges KPD-Verbot

Nach zwölfjährigem Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands während des deutschen Faschismus strengte die Regierung von Bundeskanzler Adenauer 1951 ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht gegen die Partei an, die im Parlamentarischen Rat und im Bundestag vertreten war. Zuvor wurde bereits die Freie Deutsche Jugend (FDJ) wegen ihrer Kontakte in die DDR und zur legalen KPD verboten sowie die Straftatbestände des „Hochverrats“ und „Landesverrats“ wieder eingeführt, die zuvor in der Zuständigkeit des „Volksgerichtshofs“ lagen.

Neben der Kontinuität des Antikommunismus als Staatsraison in der BRD hatte sich die KPD in den Augen der Herrschenden ein Verbot insbesondere damit „verdient“, dass sie in der Bevölkerung große Unterstützung bei ihrer Mobilisierung gegen die Remilitarisierung fand. Schon 1948 hatte Adenauer den Wehrmachts-General Speidel mit einem Memorandum zur „Unvermeidlichkeit einer Wiederaufrüstung“ beauftragt, schon vor Gründung des West-Militärpakts forderte der „Kanzler der Alliierten“ 1949 „den Beitritt Westdeutschlands zur NATO“, 1950 trafen sich auf Geheiß Adenauers alte Nazi-Generale im Eifel-Kloster Himmerod zur Erarbeitung der „Himmeroder Denkschrift“, in der die Remilitarisierung gefordert wurde, ebenso die Rehabilitierung der Angehörigen der Waffen-SS.

Die KPD brachte Ende 1949 das Thema erstmals im Bundestag zur Sprache, und Adenauer belog das Parlament, indem er Fragen nach Remilitarisierungsplänen fünfmal mit „nein“ beantwortete. Die von der KPD gestartete „Volksbefragung zur Remilitarisierung“ erbrachte über 9 Millionen Unterschriften, bis die Befragung vom Adenauer-Regime verboten wurde, weil sie auf „Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung“ abziele, die Organisatoren wurden wegen – natürlich – „Hochverrats“ angeklagt.

Allen Sonntagsreden über eine vorgebliche „Gewaltenteilung“ zum Hohn setzte die Regierung das Bundesverfassungsgericht permanent unter Druck, zuerst „endlich“ das Verfahren zu eröffnen, was am 23. November 1954 geschah, und dann, um zu dem gewünschten Ergebnis zu kommen. Der Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung war Staatssekretär Hanns Ritter von Lex. Er hatte sich schon 1931/33 große Verdienste erworben, so als Vertreter der Bayerischen Volkspartei in Gesprächen mit NSDAP und Adolf Hitler, in denen er die „systematische Ermordung von Kommunisten durch den nationalsozialistischen Staat in seiner ganzen Radikalität und Brutalität unterstützte.“[1] In seinem Schlussplädoyer in Karlsruhe sagte Ritter von Lex 1955 über die KPD: „Sie ist ein gefährlicher Infektionsherd im Körper unseres Volkes, der Giftstoffe in die Blutbahn des staatlichen und gesellschaftlichen Organismus der Bundesrepublik sendet.“[2] Der Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth nennt das gesamte Verfahren mit einem Wort: „Verfassungswidrig“.
Kommunistenverfolgung bis heute

Die Illegalisierung der KPD kam schließlich wie bestellt am 17. August 1956, und damit stand die BRD in einer Reihe mit der faschistischen Franco-Diktatur in Spanien und der faschistischen Salazar-Diktatur in Portugal sowie dem späteren Obristen-Regime in Griechenland und der Militärdiktatur in der Türkei, wo die Kommunistischen Parteien ebenfalls verboten waren.

Dem Verbot folgten Hunderttausende Ermittlungsverfahren, bis zu 10.000 Verurteilungen, Haftstrafen von bis zu fünf Jahren Zuchthaus und ungezählte Fälle von Arbeitsplatzverlust aus politischen Gründen. Hierbei war besonders der „Verfassungsschutz“ genannte Geheimdienst aktiv, der ebenfalls mit altbewährtem Nazipersonal wiederaufgebaut worden war, und die Betroffenen waren in großer Zahl Menschen, die zuvor in KZ und Zuchthäusern der Faschisten eingekerkert waren. Unter ihnen befanden sich auch viele Mitglieder des Freidenkerverbandes.

Nach dem offenkundigen Scheitern einer auf Kalten Krieg und Revanchismus getrimmten deutschen Außenpolitik Ende der 1960er Jahre störte beim Umschalten auf „Entspannung“ das KPD-Verbot ein wenig. Doch anstelle einer Aufhebung zog man es vor, demonstrativ nichts gegen die Neukonstituierung einer Kommunistischen Partei einzuwenden, woraufhin die DKP entstand. Diese Toleranz gegenüber einer legalen Kommunistischen Partei war vor allem fürs Ausland als Schaufensterauslage gedacht, im Inland trachtete man danach, die Mitgliedschaft in der DKP unter Strafe zu stellen. Mit dem „Radikalenerlass“ von 1972 wurden Tausende Opfer der Berufsverbotepraxis – bedroht, entlassen, in der beruflichen Entwicklung gehindert oder in ihrer sozialen Existenz vernichtet. Neben Kommunisten waren auch viele linke Sozialdemokraten wegen „Zweifeln an ihrer Verfassungstreue“ ins Geheimdienst-Visier geraten.

1995 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass die Berufsverbotepraxis der Bundesrepublik u.a. gegen die Europäische Konvention für Grund- und Menschenrechte verstößt. Dennoch wurde der Radikalenerlass bisher nicht offiziell zurückgenommen, eine Rehabilitation der damals Abgelehnten hat in den meisten Fällen nicht stattgefunden. Bis in jüngste Zeit wird in so „unterschiedlich regierten“ Ländern wie Thüringen und Bayern das „Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ als Einstellungsvoraussetzung für den Öffentlichen Dienst genannt.

Doch auch mit dem Verschwinden des Gegners im „Kalten Krieg“ in Gestalt der sozialistischen Länder in Europa war die Kommunistenverfolgung in Deutschland noch lange nicht vorbei. Nach dem Verlust der staatlichen Eigenständigkeit der DDR begann eine neue Welle der Marxistenverfolgung. Von 1991 bis 1999 wurden rund 100.000 Ermittlungsverfahren gegen DDR-Bürger eingeleitet, Zehntausende wurden wegen „Systemnähe“ entlassen und an weiteren Zehntausenden wurde wegen „Staatsnähe“ mit Strafrenten Rache genommen.

Thomas Mann nannte den Antikommunismus „die Grundtorheit unserer Epoche“. Der Antikommunismus prägte die Geschichte Deutschlands im letzten Jahrhundert spätestens seit der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Jahr 1919, und er ist bis heute als Element ständiger Demokratiegefährdung wirksam. Fast 50 Jahre nach dem „Radikalenerlass“ und 65 Jahre nach dem KPD-Verbot bleibt die Forderung auf der Tagesordnung: Das KPD-Verbot als permanente Drohung und als Repressionsinstrument gegen alle demokratischen und fortschrittlichen Kräfte muss aufgehoben werden!

Es liegt nahe, dass die unerklärliche Leseschwäche beim eigenen Parteiengesetz in den mit Volljuristen besetzten Stäben des Bundesinnenministeriums, der Bundestagsverwaltung und des Bundeswahlausschusses ihre Ursache in jenem Antikommunismus hat, der das Denken und die Sinne vernebelt. Bei ihrem Versuch, den Antritt der DKP bei der Bundestagswahl zu verhindern, geht es nicht nur um diese einzelne Wahlbeteiligung, sondern um den generellen Entzug des Parteienstatus. Damit wäre der Schutz des Parteienprivilegs aufgehoben, für ein Verbot kein Prozess beim Bundesverfassungsgericht mehr nötig, sondern nur eine Verfügung des Innenministers, schließlich wären die Kommunisten gezwungen, eine neue Partei zu gründen. Was steckt hinter diesem Vorgehen?
„In Deutschland geht der Kampf gegen oppositionelle Bewegungen in die nächste Runde“

Dieser Bewertung des Stern kann man nur zustimmen, allerdings schrieb das Magazin „Russland“, nicht „Deutschland“.[3] Der MDR urteilt: „aktuell ist Köbele einer der schärfsten Kritiker des Systems Merkel“,[4] so auch andere deutsche „Qualitätsmedien“, z. B. die FAZ [5]: „Das Vorgehen gegen Patrik Köbele und dessen Anhänger zeigt die zynische Skrupellosigkeit der deutschen Machthaber. Auf diese Entwicklung muss der Osten deutlich reagieren.“ Oder im Focus [6]: „Jetzt will Merkel seine ganze Bewegung auslöschen“. Man ahnt es schon: statt Köbele schreiben sie Nawalny, statt Merkel Putin, statt deutsche russische und statt Osten Westen.

Aber dass ausgerechnet die Bundesregierung, die den Notstand der Demokratie in Deutschland zu verantworten hat, sich immer wieder gegenüber anderen Ländern als Schulmeister in Sachen Demokratie, Rechte der Opposition und Wahlabläufe aufspielt, ist eine widerwärtige Heuchelei. Es ist an der Zeit, speziell gegenüber den betroffenen Ländern, über die tatsächlichen „demokratischen“ Vorgänge im „Rechtsstaat“ Deutschland zu informieren. Wir werden dies jedenfalls im Rahmen der Weltunion der Freidenker tun. Es wäre zu wünschen, dass ausländische Regierungen im Gegenzug bei der Bundesregierung intervenieren.

Die NATO hat Russland und China zu Feinden erklärt, Politiker und „Leitmedien“ überschlagen sich in russophober und antichinesischer Propaganda. Sie provozieren fortgesetzt mit einer Konfrontationspolitik, Aufrüstung, Truppenaufmärschen und Manövern an den Grenzen der Russischen Föderation. Die Wiederaufnahme der Kanonenbootpolitik mit Entsendung einer Bundeswehr-Fregatte in das Südchinesische Meer will die Bundesregierung als „Signal an China“ verstanden wissen.

Dass in dieser angespannten internationalen Lage die DKP die Losung „Frieden mit Russland und China“ auf ihre Fahnen und Plakate schreibt, wird die Hauptursache der aktuellen Repression sein. Die Herrschenden verlangen, die Kriegsmobilisierung gegen Russland und gegen China zu unterstützen oder zumindest nicht zu behindern sowie die NATO und ihre Regionalgliederung EU mit allen Mitteln zu verteidigen. Sie wollen, mit einem Wort, Friedhofsruhe an der Heimatfront. Wer diesen politischen Rahmen nicht akzeptiert, muss ab jetzt mit Repressionen rechnen. Das Vorgehen gegen die DKP soll, unabhängig von ihrer überschaubaren Größe und Bedeutung, genau dieses Signal aussenden. Deshalb sind alle, die dieses Signal verstehen und ablehnen, aufgerufen, jenseits parteipolitischer Erwägungen Solidarität mit der DKP zu üben.

Sebastian Bahlo, Bundesvorsitzender

Klaus Hartmann, Stellv. Bundesvorsitzender

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"Solidaritätsschreiben des Deutschen Freidenker-Verbands", UZ vom 16. Juli 2021



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