Zu den Demonstrationen von Gewerkschaften und Sozialverbänden am 22. Oktober

Solidarität mit wem?

Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbände rufen unter dem Motto „Solidarisch durch die Krise – Soziale Sicherheit schaffen und fossile Abhängigkeiten beenden“ für dieses Wochenende zu Demonstrationen in mehreren Städten auf. Die Kommunistinnen und Kommunisten dieses Landes teilen die im Aufruf formulierte Sorge vor dem „Auseinanderbrechen“ unserer Gesellschaft. Zwei grundlegende Aussagen des Aufrufs, die sich auch in Reden widerspiegeln werden, teilen sie nicht – beide sind mit dem Begriff „Solidarität“ verbunden.

Gefordert wird „Solidarität“ mit der Ukraine. Solidarität mit wem? Wir sehen das große Leid der Menschen der Ukraine seit der Übernahme der Regierung durch den verfassungswidrigen Sturz der damaligen Regierung im Jahre 2014. Seit diesem Jahr hat die DKP politische und praktische Solidarität mit den Menschen im Donbass geübt, deren Kinder im Bombenhagel aufwuchsen und denen der Gebrauch ihrer Muttersprache verboten wurde. Sie hat Solidarität geübt mit Gewerkschaftern, denen die Möglichkeit zur politischen Arbeit genommen wurde, und mit den Mitgliedern der mittlerweile einem Dutzend verbotenen Parteien in der Ukraine. Am Anfang stand wie so oft das Verbot der Kommunistischen Partei, inzwischen erfasst es auch die dortige sozialdemokratische Partei. In all den Jahren war von Solidarität mit diesem Teil der Ukraine nie die Rede. Mit ihm sind und bleiben wir solidarisch – aber nicht mit dem Staat, der sie unterdrückt.

Es befremdet uns zweitens, wenn Solidarität von der „Ampel“ eingefordert wird. Diese Regierung hat das größte Aufrüstungsprogramm in der deutschen Geschichte seit Ende des Zweiten Weltkrieges gestartet – als ob das Jahr 1945 den Deutschen nicht zwingend geraten hätte, künftig die Finger von allen Träumen nach Weltherrschaft zu lassen. Nun aber träumen sie wieder von der größten Armee Europas, überziehen den wichtigsten Energielieferanten des Landes mit einem Wirtschaftskrieg, schicken Kriegsschiffe vor Chinas Küsten und leihen sich bei internationalen Finanzkonzernen 100 Milliarden Euro, um ihre irrwitzige Aufrüstung zu finanzieren. Von dieser Regierung, die uns für ihre Weltmachtträume gerade das Geld aus den Taschen zieht, sollen wir „Solidarität“ erbetteln? Von denen, deren Programm von Aufrüstung und Wirtschaftskrieg den großen Energiekonzernen – allen voran US-amerikanischen – das Geld säckeweise in die Taschen schaufelt?

Wir sind für Solidarität mit den Kriegsopfern im Donbass und der Zivilbevölkerung in der Ukraine sowie für Solidarität der Lohnabhängigen, Erwerbslosen, Rentenempfängern und Studierenden in Deutschland, denen unter Schwingen der blau-gelben Fahne gegenwärtig das Geld aus der Tasche gezogen wird, das sie für Heizung und die immer teurer werdenden Lebensmittel bräuchten.

Auch wir Kommunistinnen und Kommunisten haben in diesen Tagen Angst. Die Kriegsspirale muss beendet, der Weg für Verhandlungen muss geöffnet werden. Wir fordern den Stopp des Wirtschaftskrieges gegen Russland und des drohenden Wirtschaftskrieges gegen China. Wir wollen eine gesetzliche Senkung der Energiepreise auf das Niveau vom Juni 2021, die Streichung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Energie und die Wiederherstellung und Öffnung der Nord-Stream-Pipelines. Stoppt Hochrüstung und Waffenlieferungen! Verhandelt entsprechend den Vorschlägen aus Mexiko, Indien und vielen anderen Ländern der UN! Befreit das Land von Atomwaffen! Deutschland muss raus aus der NATO!
Lassen wir uns nicht das Fell über die Ohren ziehen – seien wir solidarisch innerhalb unserer Klasse!

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"Solidarität mit wem?", UZ vom 21. Oktober 2022



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