Mitglieder von Grup Yorum reisten in den Donbass

Solidarität ist kein Mitleid

Im Donbass besuchten Mitglieder der türkischen Musikgruppe Grup Yorum die Donezker und die Lugansker Volksrepublik. UZ sprach mit der Musikerin Berivan Gel über ihre Erfahrungen, über die Aufgabe von Solidarität und der Stellung von Kunst und Kultur in Kriegszeiten.

UZ: Sie haben kürzlich den Donbass bereist. Wie kamen Sie dazu, als Musikgruppe in dieses Kriegsgebiet zu reisen?

Berivan Gel: Grup Yorum ist eine revolutionäre Musikgruppe. Wir machen seit 39 Jahren Kunst für das Volk. Es ist unsere Pflicht, uns gegen den Imperialismus an der Seite der Völker der Welt zu positionieren und den Internationalismus zu verstärken. Es zählt zu unserer Pflicht, die Wahrheit zu erzählen und die Lügen, die Desinformation, den Schmerz, die Ungerechtigkeit, das vergossene Blut und die Plünderung der Völker durch den Imperialismus aufzudecken und für diese Rechenschaft zu fordern. Wir haben den Donbass nicht zum ersten Mal bereist. Dies war unser dritter Besuch. Wir waren 2015 dort, 2023 waren wir gemeinsam mit der Antifaschistischen Karawane dort, die Banda Bassotti jedes Jahr organisiert, und dieses Jahr für ein Konzert. Der Donbass ist nicht unser erstes und einziges Kriegsgebiet, das wir als Grup Yorum besuchen. Wir waren im Irak, in Palästina und im Donbass.

UZ: Konnten Sie ungestört dort auftreten? Wo gab es Konzerte, wie war die Resonanz?

Berivan Gel: Wir sind insgesamt in zwei Städten im Donbass aufgetreten, in Lugansk und in Donezk. Das Konzert in Lugansk hat in einem historischen Kulturzentrum, welches als „Palast der Eisenbahner“ gilt, stattgefunden. Das Konzert in Donezk fand in einem Krankenhaus statt, in dem Menschen stationär behandelt werden, die durch die ukrainischen Angriffe verletzt wurden. Bei beiden Konzerten haben wir die Wärme der Menschen aus dem Donbass spüren können. Ihre Freude darüber, dass wir uns mit ihnen solidarisieren und uns dessen bewusst sind, was der Imperialismus alles angerichtet hat. Solidarität bedeutet nicht, jemanden zu bemitleiden, ganz im Gegenteil. Solidarität bedeutet sich zu vereinen und sich auf einer der zwei Seiten klar zu positionieren. Aus Sicherheitsgründen wurde der Ort der Konzerte am Anfang nicht veröffentlicht. Die Resonanz der Menschen war sehr positiv. Sie haben sich darüber gefreut, dass wir da waren und somit unter anderem auch die Isolation von der Außenwelt gebrochen haben. Wir haben den Menschen, die im Donbass leben, versprochen, wieder zukommen, viel zahlreicher sogar als jetzt.

Außerdem werden wir unseren Aufenthalt und all das, was wir an Kriegsverbrechen gesehen haben, dokumentieren.

UZ: Wie ist die Situation der Bevölkerung dort, die seit dem Putsch 2014 unter ständigem Beschuss des ukrainischen Regimes steht?

Berivan Gel: Die Bevölkerung ist sich bewusst, dass der Krieg nicht zwischen der Ukraine und Russland geführt wird. Sie wissen ganz genau, dass das ein Krieg ist, der vom US- und EU-Imperialismus und der NATO geführt wird. Wir haben beobachten können, dass das ein Krieg der Symbole ist. Die eine Seite kämpft mit den Symbolen des Sozialismus, sprich, Hammer und Sichel und Stern; die andere Seite mit Nazisymbolen wie dem Hakenkreuz.

Der Alltag der Menschen geht ganz normal weiter. Sewerodonezk liegt acht Kilometer entfernt von der Front. Die Menschen dort führen ihren Alltag wie gewöhnlich fort. Wir haben sehen können, wie sie im Supermarkt einkaufen gehen, Fahrrad fahren und in Cafés sitzen. Täglich werden dort Drohnen gegen Zivilisten eingesetzt und es kommt zu Angriffen seitens der ukrainischen Faschisten. Es wird gezielt auf Orte geschossen, an denen sich viele Zivilisten aufhalten.

UZ: Wen haben Sie vor Ort für einen Austausch treffen können?

Berivan Gel: Wir haben zwar keine anderen Künstler kennenlernen können, aber dafür viele verschiedene Repräsentanten von Einrichtungen und Ministerien getroffen. Außerdem haben wir Soldaten getroffen, die in Führungspositionen stehen, und viele mehr. Wir hatten auch die Gelegenheit, viele verschiedene Museen zu besuchen und viele Einzelheiten von hohen Repräsentanten zu erfahren.

UZ: Welche politischen Repräsentanten des Donbass konnten Sie treffen?

Berivan Gel: In Lugansk hatten wir die Gelegenheit, den Ersten Vorsitzenden des Volkssowjets, Alexej Karjakin, zu treffen und einen Repräsentanten, Wladislaw Dejnego, der während Verhandlungen der Minsk-Protokolle anwesend war. Sie haben uns unter anderem erzählt, wie die Volksrepublik Lugansk ihre Unabhängigkeit erkämpft hat. Wladislaw Dejnego hat uns über die Zeit und die leeren Versprechen der Imperialisten berichtet.

UZ: Wie findet Kultur unter Kriegsbedingungen statt? Vielleicht könnten Sie das etwas ausführen.

Berivan Gel: Wir haben gemerkt, dass hier großer Wert auf Kultur gelegt wird, wie es auch im Sozialismus der Fall war. Zu unserem ersten Konzert in Lugansk wurden viele Studenten und Schüler eingeladen. Als wir ein Museum besucht haben, hat ein Freiwilliger des Museums Lieder zur Gitarre gesungen. Wir haben gemeinsam die Lieder „Katjuscha“ und „Bella ciao“ gesungen.

UZ: Was haben die Menschen, die Sie dort getroffen haben, Ihnen mitgegeben als Botschaft für die hiesige Kulturszene und Antikriegsbewegung?

Berivan Gel: Sie haben sich dafür bedankt, dass wir eine Dokumentation drehen über die Dinge, die vor sich gegangen sind und weiter vor sich gehen. Sie fühlen sich durch die ganzen Sanktionen von der Außenwelt isoliert. Die Wahrheit ist, dass Russland sich verteidigt, da die NATO versucht, Russland einzukesseln, indem die NATO alle ehemaligen Sowjetstaaten nach und nach zu Mitgliedstaaten macht. Dies geschieht trotz der Abkommen zwischen Russland und der NATO von 1997. Die Wahrheit ist, dass die Menschen im Donbass nicht unter der Kontrolle von Nazis – also der ukrainischen Regierung – leben möchten. Aufgrund dessen wurden trotz der Abkommen zwischen 2014 und 2022 14.000 Menschen im Donbass durch NATO Waffen ermordet. Die NATO hatte 1997 14 Mitglieder, heute sind es 32. Ein Großteil der neuen Mitglieder sind Nachbarländer zu Russland.

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"Solidarität ist kein Mitleid", UZ vom 21. Juni 2024



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