Aus dem „Schwur von Buchenwald“ vom 19. April 1945:
„Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt
des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden,
ihren Angehörigen schuldig.“
Am kommenden Samstag begeht die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) in Frankfurt am Main ihren 75. Gründungstag – das ist für uns Anlass, den Kameradinnen und Kameraden der der VVN-BdA großen Respekt und unseren herzlichen Glückwunsch auszusprechen. Wir tun das mit einem Rückblick, in dessen Mittelpunkt die politischen und juristischen Versuche stehen, den Verband zu kriminalisieren, zu verbieten oder – wie in jüngster Zeit – finanziell zu ruinieren. Diese Versuche gilt es auch weiterhin gemeinsam zu durchkreuzen.
Nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus entstanden auf lokaler Ebene zahlreiche Zusammenschlüsse ehemaliger Widerstandskämpfer und Antifa-Ausschüsse, in denen die befreiten politischen Häftlinge der faschistischen Konzentrationslager eine wesentliche Rolle spielten. Sie bildeten den Ausgangspunkt zur Schaffung einer zonenübergreifenden Organisation der NS-Verfolgten – der VVN.
Mit dem Jahreswechsel 1946/47 begann der forcierte Aufbau der organisatorischen und politischen Struktur des Verbands – Kreisvereinigungen wurden gebildet sowie Landes- und Zonenvorstände konstituiert. In Württemberg-Baden und Nordrhein-Westfalen waren schon 1946 Landesorganisationen gegründet worden, im Februar 1947 entstanden die VVN Pfalz und Hessen. Vom 15. bis zum 17. März 1947 tagte dann in Frankfurt am Main die „1. Interzonale Länderkonferenz der VVN“. Mit dem dort gebildeten „Gesamtdeutschen Rat“ war der überregionale Aufbau abgeschlossen.
Hans Mayer definierte in seiner Rede die – bis heute gültige – Aufgabe des Antifaschismus: „Unsere Aufgabe ist, über alle Parteien, Bekenntnisse und Abstammungen eine Vereinigung der Menschen zu schaffen, die warnen, die aufpassen, die den Zeigefinger heben und die schreien und die notfalls mit allen Mitteln der Kraft der Zahl und der Überzeugung, die sie verkörpern, der Welt zeigen, wie notwendig es ist, gegen den Nazismus zu kämpfen.“
Unvereinbarkeitsbeschlüsse
In dem Maße, wie auf internationaler Ebene die Antihitlerkoalition auseinanderfiel, zerbröselte in den westlichen Besatzungszonen der antifaschistische Konsens. Im September 1948 fasste der Düsseldorfer Parteitag der SPD einen Unvereinbarkeitsbeschluss hinsichtlich der gleichzeitigen Mitgliedschaft in der Sozialdemokratie und der VVN – mit der Begründung, die VVN sei „kommunistisch unterwandert“. Bereits zwei Jahre zuvor hatte die Führung der West-SPD, das sogenannte „Büro Schumacher“ – benannt nach Kurt Schumacher, der Kommunisten als „rotlackierte Nazis“ beschimpft hatte –, alle Sozialdemokraten in den Westzonen aufgefordert, der VVN fernzubleiben. Ende 1948 wurde als Spalterorganisation die „Arbeitsgemeinschaft ehemals verfolgter Sozialdemokraten (AvS)“ gegründet, der ein Teil der sozialdemokratisch organisierten VVN-Mitglieder beitrat.
Anfang Februar 1950 erfolgte auf Initiative von Peter Lütsches, vormals Leiter der Verbandszeitung der VVN, inzwischen aber – nachdem er Geld und Inventar unterschlagen hatte – aus dem Verband ausgetreten, die Bildung eines CDU-nahen und strikt antikommunistisch orientierten „Bundes der Verfolgten des Naziregimes (BVS)“, der von der CDU, vom Bundesinnenministerium und von US-amerikanischen Geheimdiensten großzügig finanziert wurde.
Adenauer-Erlass
Am 19. September 1950 fasste die Regierung Westdeutschlands unter Bundeskanzler Konrad Adenauer einen Beschluss zur „Verfassungstreue“ öffentlich Bediensteter. Diesen war fortan die Mitgliedschaft in Organisationen untersagt, die als „verfassungsfeindlich“ eingestuft wurden: „Wer als Beamter, Angestellter oder Arbeiter im Bundesdienst an Organisationen oder Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Staatsordnung teilnimmt, sich für sie betätigt oder sie sonst unterstützt, (…) macht sich einer schweren Pflichtverletzung schuldig.“ Neben der KPD und der FDJ zielte dieser Vorläufer des „Radikalenerlasses“ vom Januar 1972 auch auf die VVN.
Kampf gegen die Remilitarisierung
Im Zuge des Widerstands gegen die geplante Wiederbewaffnung des westdeutschen Teilstaats reifte 1951 der Plan einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrags. Wunsch und Streben nach Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands auf entmilitarisierter Basis waren nicht allein in der politischen Linken verbreitet, vielmehr ergaben sich daraus Bündnisse selbst mit eher konservativen Kräften. Für den 14. und 15. April 1951 lud die VVN zu einem „Deutschen Kongress der Widerstandskämpfer, der Opfer des Faschismus und des Krieges“ ein. Geleitet wurde der Kongress von Marcel Frenkel, Mitglied des Rates der VVN. (1955 wurde er, inzwischen VVN-Vorsitzender, unter dem Vorwurf des „Hochverrats“ verhaftet und angeklagt, aufgrund des starken öffentlichen Protests zumal im Ausland allerdings wieder aus der Haft entlassen.) Die rund 1.000 Delegierten des Kongresses nahmen einstimmig ein Manifest „An das deutsche Volk“ und eine Resolution an, die sich entschieden für eine Volksbefragung gegen die Wiederbewaffnung und für einen Friedensvertrag aussprachen.
Der Gelsenkirchener Kongress war vermutlich der letzte Anstoß für die Adenauer-Regierung, die Volksbefragung am 24. April zu verbieten und die VVN zu einer derjenigen Organisationen zu erklären, die wegen deren Durchführung gegen die „verfassungsmäßige Ordnung“ verstießen. Diesem Verbot folgte im Juli das vom Bundestag – übrigens mit den Stimmen der SPD – verabschiedete, ebenso berühmte wie berüchtigte „1. Strafrechtsänderungsgesetz“ (bekannt als „Blitzgesetz“). In einem Regierungsbeschluss vom 26. Juli hieß es: „1. Die Tätigkeit des ‚Rates der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes‘ (VVN) stellt einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes dar. Der ‚Rat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes‘ (VVN) ist daher gemäß Art. 9 Abs. 2 GG kraft Gesetzes verboten. 2. Die Landesregierungen werden (…) ersucht, jede Betätigung im Sinne des ‚Rates der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes‘ (VVN) zu unterbinden.“
Bereits am 27. Juli, einen Tag nach dem Regierungsbeschluss, wurden in Niedersachsen sämtliche Geschäftsstellen der VVN und die Wohnungen zahlreicher Antifaschisten durchsucht, Materialien und Gelder beschlagnahmt und „den Funktionären ausdrücklich eröffnet, dass eine Weiterführung des Geschäftsbetriebes verboten und damit strafbar sei“. Am 1. August folgte das VVN-Verbot in Hamburg; im Zuge einer Durchsuchung des Büros erfolgte die Beschlagnahme von Akten und Unterlagen. Am folgenden Tag schloss die hessische Polizei das Frankfurter Büro des Rates der VVN. Da sich der Verband juristisch wie politisch gegen diese Repressalien zur Wehr setzte, Gerichte die „Verfassungsfeindlichkeit“ verneinten und nicht alle Bundesländer das Verbot umsetzten, konnte die Arbeit der VVN fortgesetzt werden.
Erneuter Anlauf zum bundesweiten VVN-Verbot
Nachdem im August 1956 mit dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe die KPD verboten worden war und es bereits Ende 1957 erste Überlegungen für einen zweiten Anlauf zum Verbot der VVN auf Bundesebene gegeben hatte, stellte Bundesinnenminister Gerhard Schröder am 20. Oktober 1959 beim Bundesverwaltungsgericht in Westberlin den Antrag auf Feststellung der „Verfassungswidrigkeit“ der VVN. In Vorbereitung dessen hatte der Verfassungsschutz im Sommer desselben Jahres einen umfänglichen „Zusammenfassenden Bericht der kommunistischen Widerstandsbewegung“ erstellt, der die inhaltliche und personelle Verbindung zwischen der VVN und der – nunmehr illegalen – KPD beweisen sollte.
Die auf Ende November 1962 anberaumte mündliche Verhandlung über den Antrag der Bundesregierung vor dem 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts geriet indes zum Eklat. Gleich nach der Eröffnung der Verhandlung durch den Senatspräsidenten Fritz Werner wurde dieser durch einen Zwischenruf aus dem Zuschauerraum unterbrochen: „Herr Präsident, Sie waren ein großer Nazi. Hier sind die Beweise.“ Diese belegten, dass Werner der SA und der Nazipartei angehört hatte – die Verhandlung wurde daraufhin vertagt. Schon damals hieß es in der „Neuen Zürcher Zeitung“: „So wie die Dinge stehen, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Prozess auf längere Zeit vertagt und dann stillschweigend abgesetzt wird.“ Damit sollte sie Recht behalten.
Angriffe auf die VVN-BdA während der letzten Jahre
Selbstredend war und bleibt die – ab 1971 als „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ auftretende nunmehrige VVN-BdA – im Visier des bürgerlichen Staates, reaktionärer Politiker und der Mainstream-Presse. In jüngster Zeit war sie zwei größeren Attacken ausgesetzt.
Angriff Nummer 1: Den Verbotsversuchen der frühen Jahre folgte im November 2019 eine neue (vermeintlich wohl elegantere) Variante: Das Berliner Finanzamt für Körperschaften entzog aufgrund der Nennung des Verbands im bayerischen Verfassungsschutzbericht der VVN-BdA den Status der Gemeinnützigkeit. Dieser Versuch scheiterte – nachdem im März 2020 bekannt wurde, dass von der Finanzbehörde die Gemeinnützigkeit für 2019 wieder anerkannt worden war, wurde diese Entscheidung im April 2021 auch auf die zurückliegenden Jahre erweitert. Der Schuss ging im Übrigen daneben oder – wenn man so will – ins eigene Knie: Die ungewollte Folge waren eine ungeahnte Welle der Solidarität und eine massive Flut von Anträgen auf Mitgliedschaft in der VVN-BdA.
Angriff Nummer 2: Für die Ausgabe des VVN-BdA-Magazins „antifa“ vom Juli 2021 schrieb die damalige hessische SPD-Landtagsabgeordnete und heutige Bundesinnenministerin Nancy Faeser unter dem Titel „NSU 2.0 aufgeklärt?“ einen kurzen Gastkommentar, in dem sie sich – selbst Adressatin zweier Drohbriefe mit der Unterschrift „NSU 2.0“ – antifaschistisch positionierte. Dem folgte ein Sturm der Entrüstung im reaktionären Lager – getragen von der Mainstream-Presse und allen möglichen „wichtigen“ oder sich dafür haltenden bürgerlichen Politikern. So erklärte etwa in einer „Aktuellen Stunde“ des Bundestages der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann zur VVN-BdA: „Jetzt muss man dazu aber wissen, dass die linksextremistische Vereinigung, die hinter diesem Magazin (der „antifa“ – H. v. N.) steht, eine Vereinigung ist, deren Leute Brandsätze auf Polizisten werfen, Steine auf Polizisten werfen, Autos anzünden, Wohnungen und Häuser besetzen.“ Demagogischer und widerlicher geht es kaum. Allerdings ging auch in diesem Fall der Schuss ins eigene Knie: Weit über 500 neue Mitglieder – darunter erfreulicherweise viele jüngere Menschen – konnten infolge der Hetzkampagne für die VVN-BdA gewonnen werden.
Die Versuche, die VVN-BdA finanziell auszubluten oder als „verfassungsfeindlich“ zu denunzieren, reihen sich ein in andere Maßnahmen des bürgerlichen Staates, ihm missliebige demokratische und fortschrittliche Kräfte zu verbieten oder zumindest in ihrer Tätigkeit zu behindern. So wurde Attac Deutschland vom Bundesfinanzhof ebenfalls der Gemeinnützigkeitsstatus entzogen, die Tageszeitung „junge Welt“ wird – aufgrund von „Erkenntnissen“ des Verfassungsschutzes – als marxistische Tageszeitung angegriffen und die DKP wollte man auf dem Weg eines „kalten Parteiverbots“ ausschalten, indem man ihr unter dem Vorwand angeblicher formalrechtlicher Versäumnisse den Parteistatus abzuerkennen probierte.
Gegen diese Versuche, im Rahmen der Vorbereitung und Durchsetzung neuerlicher deutscher imperialer Ambitionen den demokratischen und fortschrittlichen Kräften einen Maulkorb zu verpassen, gilt es sich auch weiterhin gemeinsam und solidarisch zu wehren.