Die Leserbriefe in der UZ deuten darauf hin, dass wir uns den Begriff der Solidarität erneut erarbeiten und aneignen müssen, um nicht lediglich den bürgerlichen Abklatsch davon zu reproduzieren. Solidarität ist für uns nicht gleichbedeutend mit Caritas, heißt nicht, als liebe Menschen anderen etwas Gutes zu tun oder sie für ihren guten Willen zu belohnen oder – wenn sie mal nicht so nett sind – durch Entzug der Zuwendung zu bestrafen.
Solidarität bedeutet für uns eine notwendige Praxis im Klassenkampf. Solidarität bedeutet, das Grundgesetz der kapitalistischen Gesellschaftsform, das Konkurrenzverhältnis und die Vereinzelung zu überwinden. Das kann aber – wenn wir die kapitalistische Realität, in der wir leben, nicht ignorieren wollen – nur gelebt werden als gemeinsame kämpferische Praxis, die eigenen Klasseninteressen gegen den Klassengegner in Stellung zu bringen, die kapitalistische Grundlage der Gesellschaft zu bekämpfen. Dafür müssen wir aber nicht – wie Heinz Stehr zu denken scheint – das Herannahen einer revolutionären Situation abwarten und bis dahin den (reformistischen) Weg für Alles halten.
Solidarität ist nicht, für die Freigabe der nächsten Tranche der Hilfskredite zu werben (und im Bundestag zu stimmen), für weitere Almosen für die „armen Griechen“ zu sorgen, dabei die Illusion einer Lösungsmöglichkeit innerhalb des Kapitalismus zu verbreiten, also die kapitalistischen Bedingungen zu belassen bzw. stabilisieren, die die Opfer in der Opferrolle festhalten. Solidarität und Akzeptanz kapitalistischer Verhältnisse schließen sich wechselseitig aus.
Syriza ist jetzt genau da angekommen, wo Pasok vor kurzem verendet ist. Ihre Politik, die kapitalistischen Grundlagen der imperialistischen EU und der Verelendungspolitik nicht in Frage zu stellen, die „Rückzahlung der Schulden“ zu versprechen, gar unter grober Missachtung des „Oxi“ die Austeritätspolitik selber voranzutreiben, stabilisiert und bestätigt die Konkurrenz der Arbeiterklasse und der Bevölkerungen unter- und gegeneinander und die Fortdauer des Kapitalismus. Wer (…) Solidarität mit dieser Syriza/Anel-Regierung fordert, müsste sich auch aufregen über die „unsolidarische“ Haltung der kommunistischen Weltbewegung, als diese in den 20er Jahren das Bemühen von SPD und ADGB-Führung kritisierte, Arzt am Krankenbett des Kapitalismus zu sein. Ärzte wollen doch auch nur etwas Gutes für die Menschen tun, oder?