Vom 17. bis 22. September tagt in Berlin der 6. ver.di-Bundeskongress. Unter anderem haben die Delegierten Anträge zur Positionierung zu Krieg und Frieden vorliegen. Ein Antrag des Gewerkschaftsrats bricht mit bisherigen gewerkschaftlichen Friedenspositionen. UZ sprach mit Jutta Markowski aus Essen über ihre Erwartungen an den Kongress. Die Ergotherapeutin ist Betriebsrätin im Krankenhaus/Rehaklinik und Delegierte des ver.di-Bundeskongresses aus NRW.
UZ: Du bist Delegierte des ver.di-Bundeskongresses, der vom 17. bis 22. September in Berlin stattfindet, und als Ergotherapeutin im Gesundheitswesen beschäftigt. Was sind für dich neben dem Friedensthema wesentliche Themen des Kongresses?
Jutta Markowski: Die Arbeitsbelastung von mir und meinen Kolleginnen und Kollegen ist nach wie vor enorm hoch und sie steigt durch Fachkräftemangel und Sparmaßnahmen immer weiter. Mit dem Tarifvertrag Entlastung haben sich Kolleginnen und Kollegen auf den Weg gemacht, für eine bedarfsgerechte Personalbemessung im Gesundheitswesen zu kämpfen. Ganz konkret, schichtgenau und vor allem mit Sanktionen bei Nichteinhaltung. Diese Arbeitskämpfe sind auszuwerten und zu verallgemeinern. Zumal die Politik mit ihrer weiter vorangetriebenen Privatisierung im Gesundheitswesen – Stichwort Ambulantisierung – nicht für bessere Ausgangsbedingungen für zukünftige Arbeitskämpfe sorgen wird.
UZ: Was sind deine Erwartungen in diesen Punkten?
Jutta Markowski: Wir brauchen klare Positionen zur Finanzierung des Gesundheitswesens, eine Absage an die sogenannte Krankenhausreform und an weitere Privatisierungen. Gesundheit ist eine staatliche Daseinsaufgabe. Wir brauchen aus meiner Sicht dringend ein klares Bekenntnis zur 30-Stunden-Woche und ein deutlich früheres Renteneintrittsalter. Mein Jahrgang ist der erste, der bis 67 Jahre arbeiten muss. In meinem Job ist das undenkbar. Habe ich bis dato noch die Patienten aus dem Bett mobilisiert, kann ich mich dann gleich dazu legen.
UZ: Die Tagesordnung liest sich nach einem Schaulaufen von Regierungspolitikern. Dabei liegt doch auf der Hand, dass soziale Verbesserungen nur gegen diese Regierung durchgesetzt werden können. Wie passt das zusammen?
Jutta Markowski: Wir haben es mit einer rasenden Verschärfung der Klassenwidersprüche zu tun. Kriegs- und Krisenlasten sollen wir alleine bezahlen. Armut wächst rasant – schlimm, bei Kindern und Alten. Reiche und Konzerne werden nicht zur Kasse gebeten, im Gegenteil werden Letztere noch subventioniert. Die Gewerkschaft muss die zentrale Rolle der Gegenwehr einnehmen! Das wissen auch Scholz, Habeck und Heil. Deswegen versuchen sie, uns einzulullen. Vergnügungssteuerpflichtig werden ihre Auftritte wahrscheinlich nicht.
UZ: Dem Kongress liegt ein Antrag „Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung“ vor, der mit wesentlichen Grundsätzen gewerkschaftlicher Positionen bricht. Er spricht sich für Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland aus und ist in der Ablehnung des 2-Prozent-Ziels alles andere als eindeutig …
Jutta Markowski: „Alles andere als eindeutig“ ist nett gesagt. Es ist noch schlimmer. Auf dem letzten Bundeskongress wurde das 2-Prozent-Ziel – also die Aufrüstung nach NATO-Vorgaben um jährlich 2 Prozent des BIP – eindeutig abgelehnt. Jetzt verkehrt man es ins Gegenteil. Das 2-Prozent-Ziel sei keine geeignete Orientierungsgröße, da es konjunkturabhängigen Schwankungen unterliegt. Finanzielle Ausstattung der Bundeswehr sei künftig an dem zu bemessen, was zur Erfüllung ihrer Aufgaben in der Landes- und Bündnisverteidigung erforderlich ist. Wie das aussieht, hat uns Scholz ja in seiner Zeitenwende-Rede dargelegt! Wenn wir zukünftig nicht 20 bis 25 Prozent des jährlichen Staatshaushaltes für Rüstung ausgeben wollen, müssen wir dieses 2-Prozent-Ziel energisch verhindern. Doch in dem Antrag geht es verwaschen weiter: eine „grenzenlose Aufrüstung“ möchte man nicht.
UZ: Gibt es ausreichend Zeit für die Debatte?
Jutta Markowski: Ich hoffe es sehr. Auf dem letzten Bundeskongress wurden die Friedensanträge sehr spät am Abend mit großem Zeitdruck aufgerufen. Dies wird wohl in der aktuell zu erwartenden Kontroverse keine Option sein. Entscheidend wird sein, dass es gelingt, in den Austausch von Argumenten zu kommen. Leider waren die Konferenzen oft von emotionalen Debatten geprägt. Doch in der Frage Krieg kommt man mit den Kategorien „Gut“ und „Böse“ nicht weiter. Hier hilft nur die alte Frage: Wem nützt es?
UZ: Im Vorfeld gab es den Aufruf „Sag Nein“ und Kritik am Leitantrag zur Friedenspolitik. Siehst du Chancen, dass es auf dem Kongress zu wesentlichen Verbesserungen des Antrages kommt?
Jutta Markowski: Es ist gut, dass es wieder mehr Stimmen gibt, die eine friedenspolitische Offensive vom Bundeskongress erwarten. Auch der Appell aus der Veranstaltung „Den Frieden gewinnen – Abrüsten statt Aufrüsten“ mit Frank Bsirske zum Antikriegstag in Hamburg an die Delegierten des 6. ver.di-Bundeskongresses ist hier zu nennen. Es wird wohl eine Vielzahl von Änderungsanträgen gestellt werden und ich sehe durchaus gute Chancen, wieder die Grundpfeiler der ver.di-Friedenspolitik einzuziehen.
UZ: Was müsste passieren, damit der Antrag deine Stimme bekommt?
Jutta Markowski: Sollte der sehr klare Antrag aus Stuttgart, der aktuell von der Antragskommission zur Ablehnung empfohlen ist, nicht durchkommen, müssen wir den Willen des Kongresses, zu einem Beschluss zu kommen, der nicht einen Teil der ver.di-Mitglieder ausgrenzt, abwarten. In der Ablehnung des 2-Prozent-Ziels, des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro für Rüstung und Krieg, der Waffenlieferungen und der nuklearen Teilhabe sehe ich rote Linien. Dafür gilt es auf dem Kongress solidarisch zu streiten.
Verhandlungen und Verträge statt Aufrüstung und Sanktionspolitik!
Antrag der Bezirkskonferenz Stuttgart an den 6. ver.di-Bundeskongress
ver.di setzt sich dafür ein, dass auf den Krieg in der Ukraine nicht mit weiterer Aufrüstungs- und Abschottungspolitik reagiert wird. (…) Diese Politik des Westens hat ihren Anteil daran, dass in Russland die Kräfte gestärkt worden sind, die an die imperialistische Großmachtpolitik des Zarenreiches anknüpfen wollen.
Dem müssen wir als Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung entgegentreten, indem wir laut sagen: Krieg darf nicht die Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln sein. ver.di tritt für eine Politik der Abrüstung und Entspannung ein. Wir mischen uns als Teil der Friedensbewegung entsprechend in die gewerkschaftliche und gesellschaftliche Diskussion über eine Sicherheitspolitik ein, wie sie für Deutschland und Europa nötig ist.
Wir fordern mit den Worten der großen Friedenskämpferin Bertha von Suttner: „Die Waffen nieder!“
* Sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen und sofortiger Waffenstillstand!
* Aufnahme von Friedensverhandlungen, die die Sicherheitsinteressen sowohl Russlands als auch der Ukraine berücksichtigen.
* Keine weiteren Waffenlieferungen – sie verlängern den Krieg und führen zu noch mehr Opfern.
* Die Sanktionsmaßnahmen gegen Russland verkürzen nicht den Krieg, sondern verursachen vielmehr enorme wirtschaftliche und soziale Schäden in den sanktionierenden Ländern und weltweit, mit Ausnahme der USA. Sie führen zu hoher Inflation und machen es unmöglich, die Pariser Klimaziele zu erreichen. Wir fordern den Stopp der katastrophalen Wirtschafts- und Finanzblockaden, unter denen die Menschen weltweit leiden
* Verhandlungen mit Russland über eine neue europäische Sicherheitsstruktur, die die Interessen aller Seiten berücksichtigt, einschließlich des Interesses Russlands an einem Rückzug der NATO-Truppen von ihren Grenzen. Frieden kann es nur mit, nicht gegen Russland geben.
* Die Aufrüstungspolitik der Bundesregierung dient nicht diesen Zielen, sondern führt zu einer weiteren Militarisierung der Politik nach innen und außen; militärische Mittel werden inzwischen als selbstverständlicher Teil der Außenpolitik betrachtet. Wir lehnen eine solche Politik ab.
* In diesem Sinne beteiligen wir uns an der gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Meinungsbildung, auch durch die Organisierung eigener Veranstaltungen und Konferenzen.