Firmen analysieren ihre Gesprächspartner

Software selektiert

Von Markus Bernhardt

Am vergangenen Sonnabend fand im Stadttheater Bielefeld die diesjährige Verleihung der „Big Brother Awards“ statt, die von verschiedenen Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen wie etwa Digitalcourage e. V. organisiert wird. In diesem Jahr wurde der Negativpreis in der Kategorie „Behörden & Verwaltung“ an einen Politiker, nämlich den hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU), verliehen. Ihm wurde die zweifelhafte Ehre für die „bundesweit erstmalige Anschaffung einer Analysesoftware der CIA-nahen Firma Palantir“, sowie dafür, dass „diese umstrittene US-Firma über Einsatz und Betrieb der Software Zugang zum Datennetz der hessischen Polizei erhält“ zuteil, begründete Laudator Rolf Gössner die Wahl der Jury. Bei allen anderen Ausgezeichneten handelt es sich um Firmen, die teils mit Software handeln, die an Gefahr für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keineswegs zu unterschätzen ist.

So wurde dem Aachener Unternehmen Precire Technologies GmbH der Negativpreis in der Kategorie „Kommunikation“ zuteil. Die Firma hatte eine Sprachanalyse-Software entwickelt, die nicht nur für eine Vorauswahl von Bewerberinnen und Bewerbern eingesetzt wird, sondern mittels derer auch eine „Emotionsanalyse von Menschen, die eine Hotline anrufen“ durchgeführt werden könne. Precire behaupte, „dass die Stimme jedes Menschen so unverwechselbar sei wie seine DNA und dass die Software „aus einer 15-Minuten-Stimmprobe den Charakter eines Menschen erkennen“ könnte und „wie geeignet er oder sie für den Job ist“, erläuterte Laudatorin Rena Tangens von Digitalcourage. Precire zerlege dafür die aufgenommene Sprachprobe in angeblich über 500 000 Bestandteile und analysiere unter anderem Stimmhöhe, Lautstärke, Modulationsfähigkeit, Sprechtempo und Rhythmus. „Und der Computer beurteilt auch gleich, ob die Sprache emotional oder wissenschaftlich, zurückhaltend oder direkt ist. Dafür vergleicht Precire die gefundenen Sprachmuster mit denen von Testpersonen aus ihrem Datenpool. Und dann schlägt Precire ihnen kurzerhand die Psychotest-Ergebnisse von ähnlich klingenden Testpersonen zu – und schließt daraus auf ihren Charakter“, so Tangens weiter.

Die Datenschützerin warnte zudem, dass „Emotions- und Motivationserkennung per Sprachanalyse sehr gefährlich“ sei, denn sie könne „ohne unser Wissen irgendwo im Hintergrund passieren, wann immer wir sprechen“. „Diese Art der Sprachanalyse ist geradezu darauf angelegt, uns zu übervorteilen. So werden die einzelnen Menschen immer ohnmächtiger und unangreifbare Macht wandert immer mehr zu großen Konzernen, Versicherungen, Banken und staatlichen Stellen, die Zugriff auf unsere Daten und solche Technologie haben“, warnte sie.

Bemerkenswert ist unterdessen auch der Preisträger in der Kategorie „Biotechnik“. Hier bedachte die Jury die Firma „Ancestry.com“, weil „sie Menschen mit Interesse an Familienforschung“ dazu verleite, „ihre Speichelproben einzusenden“. Ancestry verkaufe die Gendaten an die kommerzielle Pharmaforschung und ermögliche damit verdeckte Vaterschaftstests und schaffe „die Datengrundlage für polizeiliche genetische Rasterungen“, wie Laudator Thilo Weichert betonte.

Einmal mehr wurde bei der Preisverleihung in Bielefeld klar, dass die Gefahr für Grund- und Freiheitsrechte keineswegs nur von staatlichen Stellen ausgeht. Was und vor allem wie private Anbieter und Firmen Datensätze über Bürgerinnen und Bürger speichern und missbrauchen, ist für Techniklaien mittlerweile kaum mehr verständlich. Umso mehr Wert auf den Schutz der eigenen Daten sollten die Menschen daher legen.

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"Software selektiert", UZ vom 14. Juni 2019



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