Die Pandemie als Katalysator für die Herrschaft im Ausnahmezustand

Söder lässt weiterarbeiten

CSU-Chef Markus Söder bedauert „die Nonchalance, mit der die Todesfälle in Deutschland unter Statistik abgehakt werden“: „Ich kann mich damit nicht abfinden. Mich belastet das.“ Sicherlich ist es ehrenwert, wenn sich ein bürgerlicher Berufspolitiker um Menschen sorgt. Doch wirkt es kaum glaubwürdig, wenn wir uns erinnern, was eben dieser Söder sonst für Töne von sich gibt. Die Toten an den Außengrenzen oder diejenigen, die nach ihrer Abschiebung aus Bayern in Afghanistan umkamen, waren bisher kein Grund für Anzeichen emotionaler Belastung.

Bei aller Panikmache wird auch im Freistaat weiter gearbeitet, eingekauft und zur Schule gegangen. Auch in Bayerns Städten sind die Bahnwaggons voll, ebenso die Fußgängerzonen. Das wird sich auch mit den neuerlichen Verschärfungen aus der Staatskanzlei in München nicht ändern. Sie sind vor allem heiße Luft. Im Gegensatz zur ersten Ausgangssperre ist der Besuch eines anderen Haushaltes zum Beispiel nicht explizit untersagt. Die Funktion der neuerlichen Reden und Erlasse ist vielmehr eine disziplinierende: Wer sich diese Rechte trotzdem nimmt, gefährde die Allgemeinheit. Diese Erzählung führt schon seit Wochen dazu, dass ab Schließung der Läden die Straßen leer sind.

Diese Angst führt auch dazu, dass es verdächtig wirkt, sich zu später Stunde draußen zu bewegen – selbst auf dem abendlichen Heimweg nach einem langen Arbeitstag. Noch bevor die Verschärfungen im Alltag in Kraft treten, sind sie an vielen Orten bereits Realität. Denn was bisher als „verantwortlich“ galt oder was ab nun „ein triftiger Grund“ zum Verlassen der Wohnung ist, wird am Ende der kontrollierende Polizist oder die Staatsregierung entscheiden. Das hilft zwar nichts gegen die Pandemie, aber gegen Widerworte. Die Pandemie ist nur der Katalysator für eine Herrschaft im Ausnahmezustand.

Bei all dem Trubel nimmt dann auch niemand mehr wahr, wie wegweisend Söders Maßnahmen gegen Corona sind: So sollen die kommunalen Gesundheitsämter in Bayern zum Beispiel künftig mit einer einheitlichen Software arbeiten, um die Infektionscluster zu erfassen. Toll, welch ein Durchbruch! Mit der kostenfreien Software des deutschen Helmholtz-Zentrums arbeiten bereits die Gesundheitsbehörden in Nigeria oder Frankreich und der Schweiz. Nun vielleicht bald auch in Bayern?

Bis die Software aber in allen Behörden installiert wird, sollen die Bayern besser „dahoam“ bleiben. Und ab einem Inzidenzwert von 200 wird eine sogenannte erweiterte Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr verhängt. So soll verhindert werden, dass demnächst auch noch Betriebe geschlossen werden müssten. Vorher werden erst einmal die Schulen auf den Wechselunterricht umgestellt. Dafür gibt es natürlich nicht genug Lehrkräfte, weswegen sich die Staatsregierung bisher darum gedrückt hat und lieber einzelne Schulklassen in Quarantäne geschickt hat – oft, um die betroffenen Lehrer dann in andere Klassen zu schicken.

Dabei hatte das staatliche Robert-Koch-Institut empfohlen, dass bereits ab einem Inzidenzwert größer als 50 die Schulklassen verkleinert werden müssen. Denn ohne Verkleinerung von Klasseneinheiten ist die Weiterführung des Präsenzunterrichts ein Spiel auf Zeit. Nun sind mehr und mehr Schulklassen dicht und Gesundheitsämter mit der Nachverfolgung überfordert. Das war absehbar. Dazu nochmal der Katastrophenschutz: „Die daraus zu ziehende Folgerung ist eindeutig: Die aktuell bereits geltenden Maßnahmen reichen nicht aus, um das Pandemiegeschehen in Bayern nachhaltig zu begrenzen.“ Eindeutig ist es also, dass nun um 21 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden müssen, um die Corona-Partys im Nahverkehr und im Betrieb ungestört weiterlaufen zu lassen. Gegen diesen Unsinn gehen am heutigen Freitag auch Schülerinnen und Schüler in München auf die Straße, die sich einem Demonstrationsaufruf der lokalen SDAJ-Gruppe angeschlossen haben.

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"Söder lässt weiterarbeiten", UZ vom 11. Dezember 2020



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